Das Recht der freien Meinungsäußerung

nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz

Wenn ich gelegentlich irgendwelchen Leuten auf die Füße trete, bleibt es nicht aus, dass ich schnell mal die eine oder andere Strafanzeige wegen Beleidigung oder Verleumdung am Hals habe. Die muss juristisch keineswegs fundiert sein, der alleinige Zweck liegt darin, mich mundtot zu machen.
Ist man juristisch einigermaßen versiert, kann man sich erfolgreich gegen solche Strafanzeigen wehren.

Das Recht der freien Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, das – im Gegensatz zum Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung – in Deutschland recht gut beachtet wird und durchzusetzen ist.

Nach den Umständen des Einzelfalls kann man sich aus der Fülle der Einzelfallentscheidungen u.a. auf folgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Thema »freie Meinungsäußerung« berufen. Ich habe das bisher getan, und jedesmal wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Ein Beispiel. Noch ein Beispiel.

Zunächst einmal Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Und nun einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts:

BVerfG, Beschluss vom 14.03.1972 – 2 BvR 41/71

Zu »Meinungen« im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehören jedenfalls Werturteile, also wertende Betrachtungen von Tatsachen, Verhaltensweisen oder Verhältnissen. Ein derartiges Werturteil ist notwendigerweise subjektiv. Es spielt keine entscheidende Rolle, ob es »richtig« oder »falsch«, emotional oder rational begründet ist.
Diesen Meinungsäußerungen kann der Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht schon aus der Erwägung abgesprochen werden, dieses Grundrecht schütze nur »wertvolle« Meinungen, d. h. Meinungen, die eine gewisse ethische Qualität besitzen. Eine derartige Einschränkung enthält Art. 5 Abs. 1 GG schon seinem Wortlaut nach nicht. Sie würde auch seinem Sinn widersprechen.
Das in ihm gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung ist für die freiheitliche Demokratie schlechthin konstituierend. Daraus folgt der umfassende Charakter dieses Rechts. Es soll jede Meinung erfassen. Eine Differenzierung nach der sittlichen Qualität der Meinungen würde diesen umfassenden Schutz weitgehend relativieren. Abgesehen davon, daß die Abgrenzung von »wertvollen« und »wertlosen« Meinungen schwierig, ja oftmals unmöglich wäre, ist in einem pluralistisch strukturierten und auf der Konzeption einer freiheitlichen Demokratie beruhenden Staatsgefüge jede Meinung, auch die von etwa herrschenden Vorstellungen abweichende, schutzwürdig. Aus diesem Grunde werden auch abwertende Werturteile über andere Personen oder bestimmte Geschehnisse oder Verhältnisse durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, soweit nicht eine der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG eingreift.

BVerfG, Beschluss vom 11.05.1976 – 1 BvR 671/70

Das »Recht der persönlichen Ehre« und die »allgemeinen Gesetze« müssen im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen werden; sie sind ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken.

BVerfG, Beschluss vom 13.05.1980 – 1 BvR 103/77

[Schließlich ist in dem angegriffenen Urteil unberücksichtigt geblieben,] dass grundsätzlich auch die Form einer Meinungsäußerung der durch Art 5 Abs 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden unterliegt. Dies gilt namentlich für das gesprochene Wort. Die Spontanität freier Rede, für deren Zulässigkeit die Vermutung spricht, ist Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion, die ihrerseits Grundbedingung eines freiheitlichen Gemeinwesens ist. Soll diese Kraft und Vielfalt generell erhalten bleiben, dann müssen im Einzelfall Schärfen und Übersteigerungen des öffentlichen Meinungskampfes oder ein Gebrauch der Meinungsfreiheit in Kauf genommen werden, der zu sachgemäßer Meinungsbildung nichts beitragen kann. Die Befürchtung, wegen einer wertenden Äußerung einschneidenden gerichtlichen Sanktionen ausgesetzt zu werden, trägt die Gefahr in sich, jene Diskussion zu lähmen oder einzuengen und damit Wirkungen herbeizuführen, die der Funktion der Freiheit der Meinungsäußerung in der durch das Grundgesetz konstituierten Ordnung zuwiderlaufen.

BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89

[Aus den Leitsätzen:]
Der Schutz von Meinungsäußerungen, die sich als Schmähung Dritter darstellen, tritt regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsschutz zurück.
Eine Meinungsäußerung ist dann als Schmähung anzusehen, wenn sie jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person besteht.

[Aus den Urteilsgründen:]
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat. Das Ausmaß des Schutzes kann allerdings von dem Zweck der Meinungsäußerung abhängen. Beiträge zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage genießen stärkeren Schutz als Äußerungen, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dienen. Bei ersteren spricht eine Vermutung zugunsten der freien Rede. Insbesondere muss in der öffentlichen Auseinandersetzung […] auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses drohte. Eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik in […] Auseinandersetzungen überhöhte Anforderungen stellt, ist daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

BVerfG, Beschluss vom 16.10.1998 – 1 BvR 590/96

Bei Äußerungen, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstellen, spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Bei Äußerungen, die im Zuge einer ausschließlich privaten Auseinandersetzung gefallen sind, gilt hingegen keine derartige Vermutungsregel.
Die isolierte Betrachtung eines bestimmten Äußerungsteils oder Satzes wird den Anforderungen einer zuverlässigen Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
Schließlich ist der Einfluß des Grundrechts auch bei der Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung zu beachten. Das folgt daraus, daß Tatsachenbehauptungen im Rahmen der fallbezogenen Abwägung regelmäßig ein geringeres Gewicht zukommt als Werturteilen. Schon in der unzutreffenden Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung kann deshalb eine Grundrechtsverletzung liegen. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung nicht immer einfach. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist, steht bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund. Wer eine Tatsache behauptet, will etwas als objektiv gegeben hinstellen. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich einem Beweis zugänglich.

BVerfG, Beschluss vom 16.03.1999 – 1 BvR 734/98.

 Bei Werturteilen handelt es sich stets um Meinungsäußerungen. Der Grundrechtsschutz ist darauf aber nicht beschränkt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießen auch Tatsachenbehauptungen, jedenfalls, wenn sie meinungsbezogen sind, den Schutz des Grundrechts. Dabei unterscheiden sich Tatsachenbehauptungen von Werturteilen dadurch, daß bei diesen die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, während für jene die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch ist.
Zu den wesentlichen Abwägungsgesichtspunkten gehört auch die Funktion, in welcher der sich Äußernde seine ehrkränkende Behauptung aufgestellt hat.
 Wer eine Behauptung »leichtfertig« aufstellt, bringt damit aber bei weitem noch nicht das Maß an Sorglosigkeit im Umgang mit der Wahrheit zum Ausdruck, das allein die prinzipielle Versagung des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 5 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte.
§ 193 StGB steht mit seiner offenen Formulierung einer Berücksichtigung der Belange der Meinungsfreiheit in besonderer Weise offen und ist deshalb vor jeder Verurteilung nach § 185 StGB zu beachten.

BVerfG, Beschluss vom 01.08.2001 – 1 BvR 1906/97

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt die Meinungskundgabe unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird.
Auch die polemische oder verletzende Formulierung der Aussage entzieht sie nicht seinem Schutzbereich.
Auch bei satirischer oder glossierender Meinungsäußerung darf Erklärungen kein Inhalt untergeschoben werden, den ihnen ihr Urheber erkennbar nicht beilegen wollte.
Enthält die Äußerung einen ehrkränkenden Inhalt, so dass ein Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht besteht, muss eine Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der Beeinträchtigung vorgenommen werden, die jedem der beiden Rechtsgüter droht. Handelt es sich bei der Äußerung allerdings um eine Schmähkritik, erübrigt sich die Abwägung im Konkreten. Hiervon kann aber nicht bereits dann ausgegangen werden, wenn eine Äußerung überzogen oder ausfällig ist. Schmähkritik wird sie vielmehr erst dann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.
Handelt es sich bei der Äußerung […] um eine überspitzt formulierte Kritik an dem Verhalten […], scheidet die Annahme von Schmähkritik aus.

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