Meine Seiten Post vom Inkasso-Büro? Keine
Panik und Eine Inkasso-Forderung schreit
nach Antwort! haben unerwartet hohe Besucherzahlen. Das zeigt mir, dass ich damit ein Thema
anspreche, das viele Leute interessiert.
Darum habe ich mal in alten Briefen gekramt und zeige dir hier an einem konkreten Beispiel, wie man
sich erfolgreich gegen Inkasso-Forderungen wehrt.
Der Sachverhalt:
Mein Sohn war am 25.10.1993 mit einem Bus der BVG (Berliner
Verkehrsbetriebe) gefahren, ohne einen gültigen Fahrschein zu besitzen.
Er wurde kontrolliert und bekam ein »Knöllchen«, das besagte, dass er 60 DM erhöhtes
Beförderungsentgelt zu bezahlen hätte.
Weil er Vaters (also meinen) Unmut fürchtete, erzählte er mir davon jedoch nichts …
Dass mein Sohn 9 Tage vor seinem 18. Geburtstag schwarz gefahren
war, kann man als glücklichen Umstand bezeichnen, denn damit war er zum »Tatzeitpunkt« MINDERJÄHRIG
und genoss einen besonderen rechtlichen Schutz.
Erst am 26.11.1993 (einen Monat später) erfuhr ich davon, als hier der Brief einer Inkasso-Firma
eintrudelte. Die verlangte nun nicht mehr nur die 60 DM, sondern schlug gleich noch
82,80 DM drauf!
Da ich mich liebend gern mit Inkasso-Firmen fetze, antwortete ich denen noch am selben Tag, dass
mein Sohn zur Schadensminimierung und OHNE ANERKENNUNG EINER
RECHTSPFLICHT die 60 DM überwiesen hat, eine weitergehende Forderung (die
Inkasso-Kosten) aber ablehnt.
Damit war die Sache praktisch + juristisch »in trockenen Tüchern«, also
erledigt. ✔
Die Inkasso-Firma gab erwartungsgemäß keine Ruhe und schaltete ein
Rechtsanwaltsbüro ein, das dann das Gericht einschaltete, das dann letztlich meiner Argumentation
folgte und die Klage abwies!
Du kannst hier den
gesamten Schriftverkehr lesen oder das komplette Urteil
oder hier ↓ auszugsweise die Entscheidungsgründe des Gerichts:
Der Klägerin steht aus
abgetretenem Recht gegen den Beklagten weder ein
Anspruch auf Zahlung des Verzugszinses noch ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Einschaltung
der Klägerin zu.
Der Beklagte befand sich zu keiner Zeit mit der Entrichtung des erhöhten Beförderungsentgeltes
von 60,- DM noch mit dem tatsächlich geschuldeten Wertersatzanspruch in Höhe
des Verkehrswertes der
Beförderungsleistung in Verzug, so daß ein entsprechender (Hauptsache-) Anspruch bzw.
ein hieraus resultierender Verzugsschadensersatzanspruch nicht auf die Klägerin übergehen
konnte.
Ein Fahrgast ist zwar auf der Grundlage der Beförderungsbedingungen der
Zedentin verpflichtet, ein erhöhtes Beförderungsentgelt zu
entrichten, wenn er nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises ist. Die Anwendbarkeit
der Beförderungsbedingungen setzt indes voraus, daß zwischen der Zedentin und dem Beklagten ein
wirksamer Beförderungsvertrag zustandegekommen ist.
Ein solcher ist zwischen der Zedentin und dem Beklagten durch die Benutzung der
Buslinie 241 nicht bewirkt worden, da der Beklagte zu dieser Zeit minderjährig war. Der
Beklagte hat zwar durch die Benutzung der Buslinie durch schlüssiges Verhalten eine auf den
Abschluß des Beförderungsvertrages gerichtete Willenserklärung abgegeben; diese bedurfte jedoch,
da sie nicht lediglich rechtlich vorteilhaft war, der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters des
Beklagten. Die Genehmigung liegt insbesondere nicht in der Zahlung des Vaters des Beklagten, da
diese ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgte.
Insbesondere ergibt sich weder aus einer Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel mit
Einwilligung der Eltern des Beklagten und der hierin liegenden Genehmigung zum Abschluß des
Beförderungsvertrages noch aus der Überlassung von Taschengeld zum Zwecke des Fahrscheinerwerbs
entsprechend der allgemeinen Lebenserfahrung eine Generaleinwilligung des gesetzlichen Vertreters
zur Nutzung der Verkehrsmittel ohne Lösung eines erforderlichen Fahrscheines (sog. Schwarzfahrt).
Die Einwilligung zur Nutzung der Verkehrsmittel steht vielmehr regelmäßig unter der Bedingung, daß
der Minderjährige einen Fahrschein erwerben werde.
Dem steht auch nicht entgegen, daß durch die Verweigerung der Genehmigung des gesetzlichen
Vertreters von Schwarzfahrten des Minderjährigen, das wirtschaftliche Risiko auf die
Verkehrsbetriebe abgewälzt werde. Vielmehr stellt die Postulierung der Vertragsstrafe in den
Beförderungsbedingungen den Versuch der Verkehrsbetriebe dar, das von ihnen durch die Abschaffung
der Zugangskontrolle zu ihren Bussen geschaffene Risiko auf die Benutzer, mithin auch auf die
Minderjährigen abzuwälzen. Dem stehen indes die zwingenden Vorschriften des Minderjährigenschutzes
entgegen.
Unabhängig davon, gebührt auch insoweit dem Minderjährigenschutz der Vorrang gegenüber dem Interesse
des Rechtsverkehrs an der Gültigkeit von Willenserklärungen und geschlossenen Verträgen.
Mangels Abschlusses eines wirksamen Beförderungsvertrages stand der Zedentin gegen den Beklagten
lediglich ein Anspruch auf Wertersatzes zu, der sich in Höhe des objektiven Verkehrswertes der ohne
Rechtsgrund erlangten Beförderung, mithin in Höhe des regulären Fahrpreises beläuft.
Mangels Berechtigung des ursprünglich geltend gemachten erhöhten
Beförderungsentgeltes steht der Klägerin aus
abgetretenem Recht auch der Verzugszinsanspruch und der Anspruch auf Erstattung der
vorgerichtlichen Mahnauslagen in Höhe der Kosten für die Einschaltung des Inkasso-Unternehmens
nicht zu.
Der Beklagte ist infolge des fruchtlosen
Verstreichens der durch die Zedentin am 25. Oktober
1993 ausgesprochenen Zahlungsaufforderung zum Ausgleich des geltend gemachten erhöhten
Beförderungsentgeltes nicht wirksam in Verzug gesetzt worden.
Der Gläubiger kann aus einer Mahnung jedenfalls dann keine Rechte herleiten, wenn er einen erheblich
übersetzten Betrag geltend macht. Angesichts des ursprünglich begehrten Betrages von 60,- DM
gegenüber dem tatsächlich
geschuldeten Wert der Beförderung kommt eine wirksame Inverzugsetzung vorliegend nicht in
Betracht.
Wenn du den gesamten Schriftverkehr
liest, wirst du zu der Erkenntnis kommen, dass es mit gesundem Menschenverstand und einigen
juristischen Kenntnissen durchaus möglich ist, sich gegen Inkasso-Firmen und Rechtsanwälte
erfolgreich zur Wehr zu setzen – auch wenn die sich ihrer Sache sooo sicher sind. 😎
ℹ️ Nachdem die Klage der Inkasso-Firma abgewiesen wurde, hat die BVG ihre
ABTRETUNGS-PRAXIS an Inkasso-Firmen eingestellt und beauftragt Inkasso-Büros nur noch mit dem
EINTREIBEN ihrer Forderungen – die BVG bleibt also die Gläubigerin.
📌 Tipps
😎 Fazit: Es gibt immer einen Weg. Man muss ihn nur sehen
und gehen!
Jeder, dessen minderjähriges Kind mal »schwarz fährt«, kann und sollte sich auf
dieses Urteil berufen: AG Berlin-Neukölln, Urteil vom 19.04.1995, Aktenzeichen
16 C 111/94
Zwar sind andere Gerichte – insbesondere ortsfremde – nicht verpflichtet,
sich dem Tenor dieses Gerichtes anzuschließen, es macht sich aber auf jeden Fall gut, auf dieses
Urteil hinzuweisen, weil dann das für dich zuständige Gericht darlegen muss, warum es von der
Rechtsauffassung des Neuköllner Gerichts abweicht.
Man sollte gegenüber der Gegenseite (Inkasso-Firma/ Rechtsanwalt) wie folgt
argumentieren:
Wenn das Kind Taschengeld bekommt und das zum Zweck des Fahrschein-Erwerbs auch
nutzen kann/sollte, dann heißt das noch lange nicht, dass man dem Kind damit auch erlaubt, schwarz
zu fahren (oder überhaupt öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen).
Man sollte bestreiten, dass zwischen dem Kind und dem Verkehrsunternehmen ein
wirksamer Beförderungsvertrag zustande gekommen ist.
Ein Beförderungsvertrag zwischen einem Minderjährigen und einem
Verkehrsunternehmen kommt nur zustande, wenn der Minderjährige das Beförderungsentgelt entrichtet!
Anderenfalls ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen erforderlich – und
welche Eltern stimmen schon dem Schwarzfahren ihres Nachwuchses zu? 😉
Wenn das Verkehrsunternehmen nicht in der Lage ist, durch Zugangskontrollen
wirksam das Schwarzfahren zu verhindern, dann ist es erstrecht dem gesetzlichen Vertreter eines
Minderjährigen nicht möglich, diesen am Schwarzfahren zu hindern!
Das Verkehrsunternehmen darf das Risiko der fehlenden Zugangskontrollen nicht
auf ihre Fahrgäste abwälzen, schon gar nicht auf ihre minderjährigen Fahrgäste.
Ein beliebtes Argument von Firmen ist, dass man durch seine Handlung (in diesem
Fall: das Schwarzfahren) »den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beeinträchtigt«
hätte. Dem sollte man widersprechen, wodurch die Gegenseite gezwungen wird, das auch zu beweisen
(was ihr in den seltensten Fällen gelingen dürfte). 😉
Ist kein wirksamer Beförderungsvertrag zustande gekommen (weil der Minderjährige
schwarz gefahren ist), dann sollte man schnellstmöglich dem Verkehrsunternehmen den regulären Preis
für einen Einzelfahrschein bezahlen. Und zwar unter dem Vorbehalt »ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht!«
⚠️ Mit einer Zahlung (ohne diesen Vorbehalt) erkennt man in der Regel die
gegnerische Forderung an, selbst wenn diese nicht rechtens war! Es wird dann im Nachhinein
schwierig, diese Forderung juristisch anzufechten (außer, sie beruht auf einem
»sittenwidrigen Geschäft«, das ohnehin rechtswidrig und deshalb anfechtbar wäre).
Der berühmte Spruch Eltern haften für ihre Kinder! trifft
auf öffentlichen Spielplätzen und Baustellen ebenso wenig pauschal zu wie auf das Schwarzfahren des
Nachwuchses.
Deshalb müsste das Verkehrsunternehmen theoretisch seine Forderung gegen den
Minderjährigen titulieren und dann beizutreiben versuchen, wenn der volljährig ist. Weil der
tatsächliche Schaden des Verkehrsunternehmens aber in solch einem Fall höchstens dem Preis eines
Einzelfahrscheins entspricht, wird es kaum einen Titel erwirken oder gar bekommen.
Einer Inkasso-Firma gegenüber sollte man deren Forderung bestreiten. Macht sie
eigene Kosten geltend, dann sollte man prüfen, ob die Forderung des Verkehrsunternehmens an die
Inkasso-Firma »abgetreten« wurde. Das Verkehrsunternehmen ist in diesem Fall »Zedentin« und
die Inkasso-Firma vertritt sich dann praktisch selbst, und dafür kann sie keine Kostenerstattung
verlangen!
Auch ein Rechtsanwalt, der sich vor Gericht selbst vertritt, kann nicht
die Erstattung seiner eigenen Rechtsanwaltskosten verlangen.
Man sollte auch eine Kopie der Abtretungs- oder Vertretungsvollmacht verlangen.
Die Inkasso-Firma hat zwar ganz sicher etwas in der Art – es macht ihr aber zusätzliche Mühen, das
dir gegenüber beweisen zumüssen. 😉
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