15.11.2000 eMail an die B.Z.
Sehr geehrte Damen und Herren der Lokalredaktion,
ich weiß nicht, was
Sie so essen, aber Ihre Empfehlung vom 13. November 2000 auf
Seite 16 war völlig "daneben"!
Sie titeln "Das große Mampfen fast umsonst
- In Neukölln, Sonnenallee 28, steht Berlins billigstes Gasthaus".
Ich habe es mir gestern mit meiner Freundin angetan. Lesen Sie hier von einer gastronomischen
Entgleisung:
"Billig" war es ja, dieses Gasthaus "Ambrosius", jedenfalls was das Ambiente
betrifft.
Reine Kneipenatmosphäre. überall sitzen Leute und schlürfen ihr Bier. Die Einrichtung
hat bestimmt schon viele Wirte kommen und gehen gesehen. Wände, Fenster und Türen schreien nach
Farbe. Die Tür zu den Toiletten bekommt man kaum auf - und das ist auch gut so …
Wirt und "Kellner" stehen am Tresen und sind mit sich selbst beschäftigt. Sie würdigen
uns keines Blickes, als wir an einem der Tische direkt vor dem Tresen Platz nehmen. So bleibt uns
Zeit darüber nachzudenken, warum der "Kellner" nicht den "Leerlauf" nutzt, den
vollen Aschenbecher und das leere Bierglas von unserem Tisch zu nehmen und uns die Speisekarte zu
bringen.
Nachdem wir so ungefähr 5 Minuten unseren Gedanken nachhängen, geht meine Freundin zum Wirt
und fragt diesen, ob wir durchsichtig sind. Das hilft! Der "Kellner" kommt und nimmt das
leere Bierglas von unserem Tisch. Den Aschenbecher "übersieht" er. Auf Nachfrage bringt
er dann sogar eine Speisekarte. Brauchen wir aber nicht wirklich. Aus dem BZ-Artikel wissen wir ja,
dass man Hackbraten oder Königsberger Klopse für 4,80 DM bekommt.
Weil in dem Artikel "das Prachtexemplar von einem Hackbraten" angepriesen wurde, bei
dem "die Soße prima zu den Kartoffeln passt" (sollte sie nicht besser zum Hackbraten
passen?), wollte ich diesen natürlich unbedingt ausprobieren. Meine Freundin hatte noch die Aussage
zu den Königsberger Klopsen im Hinterkopf, die schön zart und mit Kapernsoße serviert würden. Darum
bestellte sie diese. Außerdem waren wir beide etwas in Zeitnot, und diese beiden Gerichte würden
bestimmt schnell serviert, weil sie keiner langen Zubereitungszeit bedürfen. Außerdem waren die
Kartoffeln schon gar, wie uns der Blick in die Küche verriet, den wir von unserem Sitzplatz aus
erhaschen konnten - und der immer sehnsuchtsvoller wurde, je länger wir dort saßen, eine Zigarette
nach der anderen rauchten und auf unser Essen warteten.
Für Wirt und "Kellner" schienen wir immer noch durchsichtig zu sein, und so ging meine
Freundin auf die Toilette und hielt dort für ein viertel Stündchen ein Schwätzchen mit einer
älteren Dame.
Ich hatte schon alle Hoffnung fahren lassen, dass ich meinen Hackbraten heute noch serviert
bekäme, als nach etwa 35 Minuten das Unglaubliche geschah: Der "Kellner" brachte das
"Prachtexemplar". Und er brachte sogar Besteck und zwei Servietten mit. Dieses Glück
hatten nicht alle Gäste.
Der volle Aschenbecher blieb auf unserem Tisch, und so konnten wir
aufgrund der Vielzahl von Zigarettenstummeln darüber nachdenken, warum die Wartezeit in dieser
Gaststätte in etwa der beim Zahnarzt entspricht.
Meine Freundin musste mir allerdings nicht beim Essen zuschauen, ich schob ihr gelegentlich den
einen und anderen Happen von meinen Kartoffeln in den Mund. Den Hackbraten mochte sie nicht …
und ich auch nicht: In dieser faustgroßen Bulette steckte wahrscheinlich nur ein Esslöffel
Hackfleisch, das man aber nicht herausschmeckte, weil die Schrippe darin geschmacklich einfach die
Oberhand behielt! Aber die Fertigsoße passte tatsächlich ganz prima zu den Kartoffeln - hätte jede
andere Soße aber auch, oder?!
Nachdem ich "heruntergewürgt", pardon "aufgegessen" hatte, steckte ich mir
eine "Verdauungs"zigarette an und dachte mit meiner Freundin halblaut darüber nach, was
wohl den Königsberger Klopsen auf dem Weg vom Kühlschrank in die Mikrowelle zugestoßen sein könnte.
Daraufhin erhielten wir die Antwort, dass sie schon "in Arbeit" seien.
Nach 45 Minuten (innerhalb dieser Zeit verschlinge ich normalerweise ein 3-Gänge-Menü) kommen die
Königsberger Klopse - und unsere dunkle Vorahnung, von der lukullischen Erfahrung mit dem Hackbraten
geschürt, bestätigt sich: Auch in den beiden Klopsen hatte die Schrippe eindeutig die Oberhand und
es lässt sich mit geschlossenen Augen nicht feststellen, was da außer einer nassen Schrippe auf der
Zunge liegt! Fast müßig zu erwähnen, dass die dünne Kapernsoße keine einzige Kaper enthielt. Meine
Freundin weigerte sich, mit derart "Futter" ihren Hunger zu stillen - und so verließen
wir ziemlich gefrustet diese gastronomische Entgleisung.
Liebe LokalredakteurInnen (So sagt man doch heute, oder? Wann sagen wir: der Baum, die
BaumInnen?) …
Also, liebe Lokalredaktion, richtig ist an Ihrem Beitrag nur, dass die
erwähnte Gaststätte das "billigste" Gasthaus Berlins sein könnte. Und wenn der Wirt
behauptet, er könne das Essen so preiswert anbieten, weil seine Pacht so niedrig sei, dann behaupte
ich: Der Mann spart, wo er kann. Ihm ist ein Topf Farbe ebenso zu teuer, wie etwa Fleisch in den
Hackbraten oder die Klopse zu tun. Er hat keine vernünftige Köchin, sein "Kellner"
langweilt sich zu Tode, ist vergesslich (wollte meiner Freundin Schweinebraten statt der
Königsberger Klopse aufdrängeln, oder wollte er ihr damit nur die Wartezeit verkürzen?!) und muss
noch lernen, wie man einen Gast bedient. Wenn der Wirt mutmaßt, die Masse würde es machen, dann
weiß ich nicht, wo er mitten in Berlin in einer viel befahrenen Straße die vielen Fernfahrer
hernehmen will, die sich - dankbar über etwas Warmes im Bauch - so ziemlich alles reinschlingen,
egal ob "Büchsenfutter" von Erasco oder Hackbraten vom Ambrosius …
Sie fragen Ihre Leser, wo es noch billiger ist. Ich habe keine Ahnung und denke,
"billiger" geht es nicht mehr.
Aber wenn Sie Ihren Lesern mal einen wirklich guten
Tipp geben wollen, wo man preiswert und sehr gut essen kann, dann schauen Sie auf meiner Homepage
nach. Sie müssen diesen Leserbrief auch nicht veröffentlichen, wenn es Ihnen zu peinlich ist oder
er Ihnen zu lang erscheint. Ich tue das selber - auf meiner Homepage.
Mit freundlichem Gruß
Original