Ich hatte ja kein Einsehen, dass jeder, der Daten über mich speichert, mir das auf
Anfrage mitteilen muss, nur die »West-Stasi« nicht.
Im April 1993 bat ich beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) um
eine entsprechende Auskunft. Einfach mal so … Ich war politisch noch nie »in Erscheinung getreten«.
Da es dem LfV nicht ausreichte, dass man sich einfach auf das Bundesdatenschutzgesetz
beruft, sondern man »ein besonderes Interesse« an der Auskunft nachweisen musste, berief ich mich
auf das im Grundgesetz garantierte Persönlichkeitsrecht.
21.04.1993 an das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin
Bitte um Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bitte Sie, mir nach § 31 des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz
(LfVG) Auskunft darüber zu erteilen, welche Informationen Sie über mich gespeichert haben.
Mein besonderes Interesse an einer Auskunft ergibt sich aus dem in Artikel 2 Abs. 1
i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz
gewährleisteten Persönlichkeitsrecht (vergl. BVerfGE 65, 1, 65).
Schon im voraus vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Original
Das bringt vielleicht jede andere Behörde in Bewegung, nicht aber den Berliner
Verfassungsschutz! Der verlangte doch ernsthaft von mir, dass ich mich als Extremist
bezichtige, bevor mir eine Auskunft gegeben wird, ob überhaupt eine Akte über mich existiert
(was drin steht, würde ich wohl nie erfahren!).
30.04.1993 vom Landesamt für Verfassungsschutz Berlin
Betr.: Ihre Anfrage vom 22.04.1993
Sehr geehrter Herr Herrmann,
die Auskunftserteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Berlin richtet
sich seit dem 31.01.1993 nach dem Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz (LfVG) vom
26.01.1993 (GVBl. S. 33 ff). In § 31 Abs. 1 des Gesetzes wird bestimmt:
"Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt einer natürlichen Person über die zu ihr
gespeicherten Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit die Person ein besonderes
Interesse an einer Auskunft darlegt."
Das nach dem LfVG geforderte besondere Interesse muß im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung des
Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Berlin stehen.
Die Aufgaben des LfV sind in § 5 des LfVG geregelt. Näheres können Sie dem beigefügten
Auszug entnehmen.
Der bloße Hinweis auf Artikel 2 Abs. 1 i.V. mit Artikel 1
Abs. 1 des Grundgesetzes reicht als Begründung für das vom Gesetzgeber geforderte besondere
Interesse im Sinne des § 31 Abs. 1 LfVG nicht aus. Das besondere Interesse muß vielmehr
über ein allgemeines Informationsinteresse eindeutig hinausgehen.
Als besonderes Interesse ist es nach unserer Auffassung insbesondere anzusehen, wenn eine
natürliche Person darlegt, daß sie im Bereich des extremistischen Spektrums in Erscheinung getreten
ist.
Erst bei Darlegung des besonderen Interesses tritt das LfV Berlin in eine nähere Sachprüfung
(d. h. in die Prüfung, ob eine natürliche Person in Dateien des LfV Berlin gespeichert ist)
ein.
Sollten Sie Ihr besonderes Interesse bis zum 27. Mai 1993 nicht näher dargelegt haben, müssen wir
Ihren (pauschalen) Antrag als unzulässig zurückweisen. Darüber hinaus wären von Ihnen bei Darlegung
des besonderen Interesses noch die Geburtsangaben nachzureichen, um Personenverwechslungen
ausschließen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Nüske
Original
Auf diese Unverschämtheit antwortete ich dann ebenso!
Großer Gott, ich habe volle 10 Jahre lang die
Stasi
zum Feind gehabt – und letztlich »besiegt«! Gegen die Stasi ist doch das Landesamt für
Verfassungsschutz der reinste Streichelzoo! 😎
06.05.1993 an das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin
Mein Auskunftsersuchen vom 21.04.93 Ihr Schreiben vom 30.04.93, GeschZ. …
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Auskunftsersuchen haben Sie leider mit obigem Schreiben negativ beschieden, weil angeblich
mein bloßer Hinweis auf das Grundgesetz als Begründung für das vom Gesetzgeber geforderte besondere
Interesse nicht ausreiche. Als besonderes Interesse sei es nach Ihrer Auffassung insbesondere
anzusehen, wenn ich darlege, daß ich im Bereich des extremistischen Spektrums in Erscheinung
getreten sei.
Verstehe ich Sie da richtig: Nur Extremisten oder Leuten, die sich als solche bezeichnen
(selbst beschuldigen), haben ein besonderes Interesse und deshalb das Recht auf Datenauskunft?!
Man muß Extremist sein, um überhaupt mal zu erfahren, ob eine Akte angelegt ist?
Wer erhält dann erst eine Auskunft über seine Daten?
Terroristen?!
Sehr geehrte Damen und Herren, bisher habe ich an keiner politischen Demo teilgenommen und bin
auch sonst politisch nicht in Erscheinung getreten.
Nun spiele ich aber mit dem Gedanken, mich dem rechtsextremistischen Spektrum anzuschließen und
meinetwegen auch politisch aufzufallen, zumal ich darin die einzige Möglichkeit sehe, endlich mal
meinen politischen Unwillen kundzutun und an meine bei Ihnen gespeicherten Daten heranzukommen.
Falls es Ihnen also nicht reicht, dass ein bisher politisch unbescholtener Bürger eine
Datenauskunft haben möchte, weil er z.B. im April 1980 nach zweieinhalbjährigem "Kampf"
mit Frau und Kind aus der ehemaligen DDR ausgesiedelt ist und - aus hoffentlich verständlichen
Gründen - Auskunft über seine Stasi-Unterlagen ebenso begehrt, wie andererseits Auskunft über die
bei der "Gegenseite" über ihn gespeicherten Daten, dann lassen Sie mich dies bitte kurz
wissen. Ich werde dann unverzüglich Kontakt zu Rechtsextremisten aufzunehmen und mich denen
anzuschließen versuchen (daß ich mich LINKSextremisten anschließe, werden Sie wohl nicht von mir
erwarten können).
Sollten mal Terroristen an mich herantreten - und damit meine Chancen auf Datenauskunft erhöhen
-, werde ich mich ggf. denen anschließen (oder reicht schon die ideelle Unterstützung, was mir wegen
des geringeren Risikos lieber wäre?!).
Nun haben Sie mich mit Ihrer Geheimniskrämerei und Paragraphenreiterei nur noch
neugieriger gemacht .... Deshalb wäre ich Ihnen für die Beantwortung meiner ach so quälenden Fragen
sehr dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Original
Am 25.05.93 erteilten die mir dann die Auskunft, dass sie keine Daten über mich
gespeichert haben.
25.05.1993 vom Landesamt für Verfassungsschutz Berlin
Betr.: Ihre Anfrage vom 22.04.1993
Sehr geehrter Herr Herrmann,
mit Ihrem Schreiben vom 21.04.1993 haben Sie um Auskunft gebeten, ob wir über Sie Angaben
gespeichert haben.
Wir bestätigen Ihnen, daß das Landesamt für Verfassungsschutz Berlin keine Angaben
zu Ihrer Person in Karteien oder dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS)
gespeichert hat.
Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag
Dr. Nüske
Original
Damit wäre die Sache eigentlich erledigt. Ich hatte meine gewünschte Auskunft,
obwohl es dafür angeblich keine gesetzliche Grundlage gab.
📝 Für meine Übersiedlung aus der DDR in die BRD gab es angeblich
auch »keine gesetzliche Grundlage«. Nach 2½ Jahren Kampf gegen Polizei, Stasi und andere
staatliche Behörden durfte ich dann aber doch auswandern. 😛
Irgendein Weg führt immer zum Ziel! Man muss ihn nur finden und gehen!
Dieser Dr. Nüske war ziemlich frech zu mir. Und wer mich kennt, der wird
bestätigen, dass ich jede Frechheit 10-fach zurückzahle …
Also »zückte ich das scharfe Schwert des DATENSCHUTZES«, beschwerte mich beim Berliner
Datenschutzbeauftragten und bat ihn, diese Praxis des Verfassungsschutzes abzustellen.
Das hat er dann VERGEBLICH beim Leiter des Berliner Verfassungsschutzes versucht, und dann gegenüber
der Senatsverwaltung für Inneres (als übergeordneter Dienststelle) eine förmliche Beanstandung
ausgesprochen.
Die Senatsverwaltung für Inneres hat dann mitgeteilt, dass das LfV Berlin keine Schreiben mehr
verwendet, in denen Auskunftsuchende aufgefordert werden, ihr besonderes Interesse an einer Auskunft
mit Angaben zu belegen, ob sie im Bereich des extremistischen Spektrums in Erscheinung getreten
sind.
Hier das entsprechende Schreiben des Berliner Datenschutzbeauftragten:
19.10.1993 vom Berliner Datenschutzbeauftragten
Sehr geehrter Herr Herrmann,
Sie haben sich über die Praxis des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Auskunftserteilung,
insbesondere über die Anforderungen zur Darlegung des "besonderen Interesses" nach
§ 31 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz, beschwert.
Wir wollen Ihnen in dieser Angelegenheit kurz den Sachstand mitteilen:
Nachdem wir vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz keine befriedigende Antwort erhalten
haben, haben wir gegenüber der Senatsverwaltung für Inneres eine förmliche Beanstandung
ausgesprochen und dringend empfohlen, für ein dem Persönlichkeitrsrecht der Betroffenen Rechnung
tragendes Auskunftsverfahren Sorge zu tragen.
Inzwischen hat uns die Senatsverwaltung für Inneres mitgeteilt, daß das Landesamt für
Verfassungsschutz keine Schreiben mehr an Auskunftssuchende verwendet, in denen diese
aufgefordert werden, ihr besonderes Interesse an einer Auskunft mit Angaben zu belegen, ob sie im
Bereich des extremistischen Spektrums in Erscheinung getreten sind. Antragsteller werden vom
Landesamt für Verfassungsschutz auch nicht mehr darauf hingewiesen, daß ihr besonderes
Auskunftsinteresse im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung der Verfassungsschutzbehörden stehen
muß.
Zu den konkreten Anforderungen, die künftig an die Darlegung des "besonderen Interesses"
gestellt werden, stehen wir noch in Diskussion mit der Senatsverwaltung für Inneres. Dabei soll die
Praxis in den Ländern, deren Gesetze ebenfalls eine derartige Darlegungspflicht vorsehen,
berücksichtigt werden.
Wir bitten um Verständnis dafür, daß eine abschließende Klärung dieser Frage wegen ihrer
grundsätzlichen Bedeutung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir werden Sie
über den Fortgang der Angelegenheit auf dem laufenden halten.
Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns über den Ausgang Ihres Auskunftsverfahrens unterrichten
würden.
Mit freundlichen Grüßen
Original
Diese Praxis des Verfassungsschutzes wurde dann nach einem Treffen der
Innenminister BUNDESWEIT abgestellt!
Da sage noch jemand, man käme gegen »die da oben« nicht an!

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