ADHS: Symptome, Diagnose, Behandlung

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  1. Vorwort
  2. Was ist ADHS?
    1. ADHS bestmmt den Alltag
    2. Eine Mutter erzählt aus ihrem Alltag
    3. Möglichst früh diagnostizieren
    4. ADHS früher und heute
  3. Wie äußert sich ADHS?
    1. Beispiele aus dem Alltag
    2. Die Symptome von ADHS
    3. Begleitstörungen
    4. ADHS in verschiedenen Lebensphasen
  4. Wie wird ADHS festgestellt?
    1. Vorgehen bei der Feststellung einer ADHS
    2. Sorgfältge Untersuchungen
  5. Wie entsteht ADHS?
    1. Ursachen und Risikofaktoren
  6. Wie wird ADHS behandelt?
    1. Hilfe auf mehreren Ebenen
    2. Psychosoziale Maßnahmen
    3. Behandlung mit Medikamenten
    4. (Teil-)Statonäre Therapie
  7. ADHS im Familienalltag
    1. Eine Herausforderung für Eltern
    2. Tipps für den Alltag mit ADHS-Kindern
  8. ADHS in der Kita
    1. Die Situaton in der Kita
    2. Was können Erzieherinnen und Erzieher tun?
  9. ADHS in der Schule
    1. Die Situaton in der Schule
    2. Wie können Lehrerinnen und Lehrer helfen?
    3. Hilfe für Lehrerinnen und Lehrer
    4. Kooperation mit Eltern und anderen Bezugspersonen
  10. Adressen
  11. Impressum

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie diese Broschüre lesen, dann vermutlich deshalb, weil Sie Verhaltensweisen bei Ihrem Kind beobachten, die Sie verunsichern:
Ihr Kind ist übertrieben aktiv, es fällt ihm schwer, konzentriert bei einer Sache zu bleiben, und es kann sich nicht oder nur sehr schwer an Regeln halten. Oder Sie haben es bei Ihrer Arbeit in Kita oder Schule tagtäglich mit einem besonders herausfordernden Kind zu tun, das andauernd dazwi­schenredet, Ihre Aufforderungen nicht befolgt und große Schwierigkeiten hat, eine Aufgabe zu Ende zu bringen. Vielleicht haben Sie sich schon Gedanken gemacht, ob dieses Kind ADHS haben könnte? Oder Sie möchten wissen, was ADHS genau bedeutet?

ADHS steht für Aufmerksamkeits Defzit Hyperaktivitäts Störung. Sie gehört zu den häufgsten Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter. Sie ist keine Folge einer falschen Erziehung. Kinder mit ADHS sind oft sehr kreativ und begeisterungsfähig, aber kaum in der Lage, ihr Verhalten zu steuern, sich zu konzentrieren oder nur wenigstens einen Moment ruhig zu sein. Aber nicht jedes auffällige Verhalten ist gleich ADHS.

Mit dieser Broschüre möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, sich über das Krankheitsbild ADHS umfassend und sachlich zu informieren.
Sie richtet sich neben Eltern, die den Verdacht haben, dass ihr Kind unter ADHS leiden könnte, auch an Kita-Fachkräfte sowie Lehrerinnen und Lehrer. Auch Eltern, die bereits eine Diagnose für ihr Kind haben, sind angesprochen.

Die Broschüre liefert Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Thema ADHS:

  • Was ist ADHS und woran lässt sie sich erkennen?
  • Was sind die Ursachen?
  • Wie wird die Diagnose gestellt?
  • Wie kann ADHS therapiert werden?
  • Was können Sie als Eltern, als Erzieherin oder Erzieher, als Lehrerin oder Lehrer tun?
  • Wo bekommen Sie Hilfe und Unterstützung?
  • Dazu erhalten Sie praktische Tipps für den Alltag in Familie, Kita oder Schule. Ergänzend finden Sie Listen mit weiterführender Literatur, Links und Adressen.

    Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und viele neue Erkenntnisse!

    Ihre
    Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

    Was ist ADHS?

      Charakteristisch sind drei Hauptsymptome:
    1. Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration (Unaufmerksamkeit)
    2. ausgeprägte körperliche Unruhe und starker Bewegungsdrang (Hyperaktivität)
    3. impulsives und unüberlegtes Handeln (Impulsivität)

    ADHS bestimmt den Alltag

    ADHS kann sich auf unterschiedliche Weise äußern: Die betroffenen Kinder und Jugendlichen schaffen es kaum, konzentriert bei einer Sache zu bleiben und eine Aufgabe zu beenden; ständig fangen sie etwas Neues an und lassen sich leicht ablenken. Manche Kinder und Jugendliche verhalten sich auffällig im Kontakt mit anderen Menschen: Sie sind impulsiv und sehr ungeduldig, stören ständig, unterbrechen andere und können sich nur schwer an Regeln halten. Deshalb geraten sie oft in Konflikte mit Gleichaltrigen. Erwachsenen gegenüber sind sie deutlich trotziger als andere in ihrem Alter. Ständige Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung. Weder gutes Zureden noch Ermahnungen oder angekündigte Konsequenzen verbessern die Situation.

    Eltern und Erwachsenen zu widersprechen und die Grenzen zu testen, ist bei Kindern und Jugendlichen zunächst erst einmal nichts Besonderes und Teil der normalen Entwicklung. Das ungewöhnlich aufmüpfige Verhalten bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS liegt jedoch nicht daran, dass sie absichtlich Streit suchen und andere bewusst ärgern möchten. Sie sind vielmehr meist nicht gut in der Lage, sich selbst zu regulieren und ihr Verhalten zu steuern.

    Sowohl Eltern als auch Erziehungsfachkräfte fühlen sich oft überfordert und hilflos, weil sie mit den Kindern oder Jugendlichen nicht mehr fertigwerden. Die Gefahr ist groß, dass sie innerhalb der Familie und in der Kita oder Schule als Störenfriede und Außenseiter abgestempelt werden. Die negativen Erfahrungen und Rückmeldungen können die Betroffenen immer weiter verunsichern und ihr Selbstvertrauen vermindern.

    Von ADHS betroffene Kinder sind in hohem Maße auf die Unterstützung ihrer Bezugspersonen angewiesen. So müssen alle zunächst lernen, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS anders reagieren als Gleichaltrige ohne diese Störung. Mit zunehmendem Wissen über ADHS sollte es Eltern, aber auch Kita-Fachkräften sowie Lehrerinnen und Lehrern leichter fallen, angemessen und unbelastet mit dem Kind umzugehen und auch wieder positive Seiten in den Vordergrund zu stellen.

    ℹ️ Mehr zu den Symptomen von ADHS: Abschnitt 03c⮧


    Eine Mutter erzählt aus ihrem Alltag

    Sandra erzählt über die Liebe zu ihren Kindern

    Lucas
    Bei Lukas sind alle Symptome deutlich ausgeprägter. Er war schon als Säugling beim Stillen unruhig, ließ sich nicht gerne anfassen. Als kleines Kind ist er häufig gestolpert, über seine Füße oder treppauf, treppab. Er hat sich oft gestoßen und hatte immer mal wieder Kopfweh. Mit ADHS hat das damals niemand in Verbindung gebracht.

    Paula
    Bei Paula fiel uns nicht so früh auf, dass sie sich anders verhält als andere Kinder, vermutlich weil sie so ein sanftes Wesen hat. Erst in der Grundschule wich ihr Verhalten deutlich von dem ihrer Klassenkameraden ab. Sie hat den Klassenclown gegeben, hat aber eigentlich damit vor allem ihr Unvermögen überspielt, dem Unterricht zu folgen.


    Möglichst früh diagnostizieren

    Nicht jedes impulsive und unkontrollierte Verhalten bedeutet gleich, dass eine ADHS vorliegt. Erst wenn sich die Symptome über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr zeigen, besteht ein begründeter Verdacht. Entscheidend ist dann eine sorgfältige Diagnose durch ausgewiesene Fachkräfte.
    Ist diese gestellt, sollte ein individuell auf das Kind abgestimmter Behandlungsplan ausgearbeitet werden. Er kann dazu beitragen, dass sich die Symptome spürbar vermindern oder im besten Fall völlig verschwinden.

    Bei Eltern löst die Diagnose ADHS häufig zwiespältige Gefühle aus. Auf der einen Seite kann es ihnen schwerfallen zu akzeptieren, dass ihr Kind krank ist. Auf der anderen Seite fühlen sie sich entlastet, weil nun klar ist, dass nicht sie als Eltern irgendwie versagt haben, sondern ihr Kind aufgrund der Störung nicht in der Lage ist, sich so zubenehmen, wie es von ihm erwartet wird. Mit der Diagnose eröffnen sich neue Wege: Eltern können vielfältige Behandlungsmöglichkeiten für ihr Kind finden und für sich selbst Hilfsangebote in Anspruch nehmen.

    ℹ️ Mehr zur Behandlung von ADHS: Abschnitt 06⮧

    ADHS: Abschnitt 2, Bild 3


    ADHS früher und heute

    Wie äußert sich ADHS?

    Beispiele aus dem Alltag

    BEN, 5 JAHRE
    Kaum ist Ben morgens aufgewacht, springt er aus seinem Bett und flitzt durch die Wohnung.
    Sofort hat er eine neue Idee. Wieso nicht mal ein Piratenschiff bauen und dazu das Betttuch ganz oben auf dem Regal als Segel benutzen? Also nichts wie hochgeklettert … rums! Mit Getöse fällt das Regal um und weckt den Rest der Familie. Sofort geht der übliche Streit los: Papa schreit ihn an, Mama ist genervt und seine kleine Schwester fängt an zu weinen.

    Danach ist erst einmal Anziehen angesagt, dann Frühstücken und weiter in die Kita.
    Das Anziehen dauert ewig:
    Alle paar Sekunden fällt Ben etwas anderes ein, das er machen möchte.

    Beim Frühstück geht ein Glas zu Bruch und auf dem Weg zur Kita rennt er immer wieder auf die Straße, wenn er gegenüber etwas Spannendes entdeckt.

    In der Kita erzählt die Erzieherin Bens Mutter mal wieder, was für eine große Belastung ihr Sohn für die ganze Gruppe sei. Er könne keine fünf Minuten still sitzen und sich auf sein Spiel konzentrieren. Ständig rase er herum und störe die anderen Kinder. Bens Mutter ist verzweifelt. Langsam weiß sie wirklich nicht mehr weiter.

    MIA, 7 JAHRE
    In der Schule nennen Mia alle nur »Träumerle«.
    Wenn die Kinder zusammen malen, schaut sie gedankenverloren aus dem Fenster. Wenn andere schon mit ihren Aufgaben fertig sind, sitzt sie immer noch vor dem leeren Blatt. Bei Gruppenarbeiten weiß sie oft nicht, was gerade das Thema ist und was sie tun soll.
    Sie ist mit ihren Gedanken ganz woanders.

    Nach der Schule zieht sich ihr Heimweg in die Länge, alle paar Minuten bleibt Mia stehen, um sich etwas anzusehen. Was sie für den Schulausflug am nächsten Tag mitbringen soll, hat sie vergessen, und der Infozettel ist unauffindbar.

    Alle sagen ständig, Mia solle besser aufpassen und sich konzentrieren. Würde sie ja gerne, aber so sehr sie sich bemüht, irgendwie gelingt es ihr einfach nicht.

    TIM, 13 JAHRE
    Tim hat echt keinen Bock mehr auf Schule.
    Ewig meckern sie da an ihm herum, genauso wie zu Hause. Seit Tim denken kann, sind immer alle irgendwie sauer auf ihn.
    Egal was er tut, er kann es niemandem recht und nichts richtig machen.
    Er merkt selbst, dass er sich nicht gut konzentrieren kann und schnell die Lust verliert, aber so sehr er sich auch bemüht, er kommt nicht dagegen an. Er braucht immer ewig für seine Hausaufgaben. Am schlimmsten ist es mit Mathe: Er kapiert einfach nicht, wie man über so viele Schritte zu einer Lösung kommen soll. Und dann noch der ständige Stress mit den Eltern, er ist das alles so leid!

    Vor einiger Zeit hat Tim ein paar Jungs kennengelernt, die auch keine Lust auf Schule haben.
    Mit denen hängt er jetzt jeden Nachmittag rum und neuerdings manchmal auch schon vormittags.


    Die Symptome von ADHS

    UNAUFMERKSAMKEIT
    Das Kind

  • beachtet häufig Einzelheiten nicht, macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten oder bei anderen Tätigkeiten,
  • hat oft Schwierigkeiten, bei Aufgaben oder beim Spielen über längere Zeit aufmerksam zu bleiben, und versucht daher Aufgaben zu vermeiden, die eine länger andauernde geistige Anstrengung erfordern,
  • scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere mit ihm sprechen,
  • führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig aus und kann daher Schularbeiten oder andere Pflichten nicht richtig zu Ende bringen,
  • hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,
  • verliert häufig Gegenstände, die es für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt, z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug,
  • lässt sich durch äußere Reize leicht ablenken,
  • ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
  • HYPERAKTIVITÄT
    Das Kind

  • zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum,
  • steht häufig in der Klasse oder in anderen Situationen auf, in denen Sitzenbleiben erwartet wird,
  • läuft häufig herum oder klettert in unpassenden Situationen,
  • hat Schwierigkeiten, ruhig zu sitzen,
  • handelt wie »getrieben«, ist ständig in Bewegung und lässt sich davon durch andere auch nicht abhalten.
  • IMPULSIVITÄT
    Das Kind

  • kann nur schwer abwarten, bis es bei Spielen oder in Gruppensituationen an der Reihe ist,
  • unterbricht und stört andere häufig, mischt sich z. B. in Gespräche oder in Spiele anderer ein,
  • platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,
  • redet häufig übermäßig viel und bekommt nicht mit, wenn ihm signalisiert wird, dass dies gerade nicht passend ist.

  • Begleitstörungen

    STÖRUNGEN DES SOZIALVERHALTENS
    Bei fast der Hälfte aller Kinder mit ADHS finden sich zusätzliche Störungen des Sozialverhaltens. Das bedeutet, dass diese Kinder für ihr Alter ungewöhnlich aufmüpfig, rebellisch und aggressiv sind, insbesondere gegenüber Autoritätspersonen.

    TIC-STÖRUNGEN
    Fast ein Drittel der Kinder mit ADHS hat zusätzlich eine sogenannte Tic-Störung. Tics sind unwillkürliche, wiederholte Zuckungen oder Bewegungen, dazu zählen beispielsweise dauerndes Blinzeln oder das Schneiden von Grimassen.
    Neben diesen motorischen Tics gibt es vokale Tics, die sich in unwillkürlichen Lautäußerungen zeigen, so zum Beispiel in häufigem Räuspern.

    LERNSTÖRUNGEN
    10 bis 25 Prozent der Kinder mit ADHS haben Lernstörungen. Hierzu zählen eine verzögerte Sprachentwicklung, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und/oder eine Rechenstörung.

    ANGSTSTÖRUNGEN UND DEPRESSIONEN
    Angststörungen treten bei bis zu 25 Prozent und depressive Störungen bei 15 bis 20 Prozent der betroffenen Kinder auf. Beides wird begünstigt durch ein geringes Selbstwertgefühl. Kinder mit ADHS haben häufig Probleme in der Schule und im Umgang mit Gleichaltrigen, sie fühlen sich als Versager und Außenseiter. Deshalb fehlt ihnen ein gesundes Selbst­bewusstsein.

    MOTORISCHE UND ANDERE STÖRUNGEN
    Viele Kinder mit ADHS haben Probleme mit der Motorik, im Sport sind sie schlechter als Gleichaltrige. Auch ihre Feinmotorik ist weniger gut entwickelt. Kinder mit ADHS haben häufiger Ein- und Durch­schlaf­probleme. Und öfter als Gleichaltrige leiden sie unter Allergien (Neuro­dermitis, allergischem Schnupfen, Asthma, Nesselsucht).


    ADHS in verschiedenen Lebensphasen

    IM VORSCHULALTER
    Die Kernsymptome von ADHS – Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität – fallen schon bei 3- bis 6-Jährigen auf. In diesem Alter ist es völlig normal, dass Kinder einen starken Bewegungsdrang haben, schwer abwarten können und leicht ablenkbar sind, jedoch nicht so häufig und andauernd wie Kinder mit ADHS. Kinder mit ADHS wirken meist rastlos, immerzu hampeln sie herum.
    Sie unterbrechen und stören andere Kinder beim Spielen. Bei Mal- und Bastelarbeiten oder im Stuhlkreis der Kita sind sie oft unkonzentriert und verlieren schnell das Interesse.
    Dauernd kommen sie auf andere Ideen und fangen etwas Neues an. Es fällt ihnen schwer, Aufforderungen zu befolgen, was häufig daran liegt, dass sie diese gar nicht mitbekommen, weil sie mit ihren Gedanken woanders sind.
    Manche Kinder sind extrem trotzig und jähzornig, ihr Verhalten ist unberechenbar. Das führt häufig dazu, dass andere Kinder sie meiden. Auch das Verhältnis zu Erzieherinnen und Erziehern kann angespannt sein.

    IM GRUNDSCHULALTER
    Mit der Einschulung wachsen die Anforderungen an Kinder erheblich. Sie müssen still sitzen, sich konzentrieren und ausdauernd bei der Sache bleiben – also genau das tun, was Kindern mit ADHS so schwerfällt. Deshalb werden die Symptome der ADHS nun oft deutlich sichtbar. Kinder mit ADHS beginnen Aufgaben, bevor diese vollständig erklärt sind, ermüden dann aber schnell und bringen nur wenig zu Ende. Anweisungen und Ermahnungen der Lehrerinnen und Lehrer nehmen sie oft kaum oder gar nicht wahr, wichtige Unterrichtsinhalte bekommen sie nicht mit. Einige rufen in die Klasse, ohne sich zu melden. Manchmal stehen sie während des Unterrichts einfach auf und laufen durch die Klasse oder sie rutschen unruhig auf dem Stuhl hin und her. Diese Verhaltensweisen können auch bei vielen anderen Grundschulkindern vorkommen, bei Kindern mit ADHS sind sie aber deutlich stärker ausgeprägt. Häufig stoßen sie damit bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern sowie bei den Lehrkräften auf Ablehnung. Auf diese Ablehnung reagieren die betroffenen Kinder häufig mit Verweigerung und Aggression, die dann zu weiterer Ablehnung führen kann. Kinder mit A‌D‌S, bei denen das Symptom der Hyperaktivität fehlt, wirken insgesamt eher verträumt, oft starren sie »Löcher in die Luft«. Weil sie nicht herumtoben und stören, fallen sie meist erst durch schlechte Schul­leistungen auf. Viele Kinder mit ADHS oder A‌D‌S haben zusätzlich eine Lese-, Schreib- oder Rechenschwäche. Als Folge der vielen Zurück­weisungen und Misserfolge entwickeln sich häufig Ängste, ein negatives Selbstwertgefühl und traurige Verstimmungen.

    IM JUGENDALTER
    Mit der Pubertät vermindert sich in aller Regel die Hyperaktivität, und auch die Impulsivität kann zurückgehen, während die Unaufmerksamkeit häufig bestehen bleibt. An die Stelle der äußerlich sichtbaren, körper­lichen Hyperaktivität tritt vermehrt eine innere Unruhe und Anspannung. Die Jugendlichen kommen schlecht mit den steigenden Anforderungen an Konzentration und Ausdauer in der Schule zurecht. Störungen im Kontakt zu Erwachsenen und Gleichaltrigen, die sich bereits im Kindes­alter zeigten, verstärken sich häufig in der Pubertät. Die alterstypischen Konflikte mit Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sind viel intensiver und häufiger als bei Jugendlichen ohne ADHS. Manche Jugendliche reagieren mit Leistungsverweigerung, Schulschwänzen, Stehlen oder auch körperlichen Attacken gegenüber anderen. Den Jugendlichen fällt es schwer, eine positive Zukunftsperspektive für sich zu entwickeln. Sie sind genervt von ihrem Umfeld, zeigen häufig deutliche Stimmungs­schwankungen und sind lustlos und apathisch. Jugendliche mit ADHS sind in diesem Alter eher anfällig, legale und illegale Drogen zu konsumieren.

    IM ERWACHSENENALTER
    Mit dem Übergang ins Erwachsenenalter verschwinden die Probleme nicht, sie verändern sich bloß. Vor allem die Unaufmerksamkeit bleibt zumeist ein Leben lang erhalten. ADHS »wächst sich also nicht aus«. Auch betroffene Erwachsene profitieren von Strategien, Unterstützung oder Therapien, die jedoch auf den Lebensalltag von Erwachsenen zugeschnitten sein müssen.

    Wie wird ADHS festgestellt?


    Vorgehen bei der Feststellung von ADHS

    Ob ein Kind tatsächlich eine ADHS aufweist, wird daran festgemacht, inwieweit die Symptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität ausgeprägt sind. Hierfür werden international anerkannte Klassifikationssysteme zugrunde gelegt. Zwar können einzelne Verhaltensweisen auch bei gesunden Kindern im Laufe ihrer Entwicklung auftreten, der Unterschied zu Kindern mit ADHS ist jedoch, dass diese alle drei Symptome aufweisen, und dies nicht nur vorübergehend.

    ℹ️ Die Untergliederung der drei ADHS-Symptome: Abschnitt 03b⮥

    Für die Diagnose ist entscheidend, dass die Auffälligkeiten länger als sechs Monate andauern und nicht nur in der Schule oder zu Hause auftreten, sondern gleich in mehreren Lebensbereichen (Familie, Kita, Schule, Verein u.a.).

    Um sicher zu sein, dass tatsächlich eine ADHS vorliegt, müssen außerdem andere psychische Störungen als Ursachen ausgeschlossen werden. Denn die können sich ähnlich äußern.
    In Einzelfällen kann es daher schwierig sein zu entscheiden, ob es sich zweifelsfrei um eine ADHS handelt.

    Bei jüngeren Kindern ist es für ihre Bezugspersonen nicht immer leicht, altersgemäßes von auffälligem Verhalten zu unterscheiden, denn manchmal können die Übergänge fließend sein. In diesem Alter treten durchaus einzelne typische Verhaltensweisen auf, ohne dass eine ADHS vorliegt.

    Bei unter 3-Jährigen ist daher eine sichere Diagnose noch nicht möglich. Auch im Kindergartenalter kann diese nur dann gestellt werden, wenn die Symptome sehr stark ausgeprägt sind.

    Familiäre Konflikte wie die Trennung der Eltern oder Veränderungen wie die Geburt eines Geschwisterkindes oder ein Umzug sowie ein traumatisches Erlebnis können das Kind stark belasten und sich vorübergehend in Form von Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit oder Impulsivität äußern. Im Unterschied zu ADHS wird dieses Verhalten aber wieder aufgegeben, wenn die Probleme vorbei sind.

    ℹ️ Hilfreiche Kontakte bei der Suche nach Spezialistinnen und Spezialisten: Abschnitt 10⮧

    Sandra erzählt über erste Vermutungen

    Eines Tages war ich mit den Kindern in der Stadtbücherei. Dort entdeckte ich zufällig ein Buch mit dem Titel »Zappelphilipp und Störenfrieda«, geschrieben von einem amerikanischen Psychologen.
    Ich blätterte es durch und dachte: »Das gibt’s ja nicht, das ist ja wie bei unseren Kindern, genau so!« Das Buch habe ich zu Hause meinem Mann gezeigt und gesagt: »Lies mal, das sind unsere Kinder.«
    Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass die Kinder ADHS haben könnten.
    Ich habe dann mit dem Kinderarzt über meine Vermutung gesprochen.


    Sorgfältige Untersuchungen

    Die Diagnostik ist komplex und erfolgt in der Regel in mehreren Schritten. Auch eine körperliche Untersuchung gehört dazu, um organische Erkrankungen wie eine Seh- oder Hörstörung oder eine Erkrankung der Schilddrüse als Ursache für das auffällige Verhalten auszuschließen.

    Ein weiterer wichtiger Teil ist die Befragung der Eltern über das Verhalten zu Hause sowie der Erziehungs- und Lehrkräfte über das Verhalten in Kita oder Schule.

    Nicht zuletzt ist es wichtig, die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst zu befragen, um herauszufinden, wie sie ihre Situation erleben, was sie denken und fühlen.

    ADHS tritt in unterschiedlichen Schweregraden auf: leicht-, mittel- und schwergradig.
    Ausschlaggebend für die Einstufung ist die Anzahl und Stärke der Symptome und wie sehr sie den Lebensalltag beeinträchtigen.
    Den Schweregrad festzustellen ist wichtig, denn danach richtet sich die Auswahl der passenden Behandlungsmöglichkeiten.

    Eltern, die Hilfe suchen, wenden sich am besten zuerst an ihre vertraute Kinderarztpraxis.
    Zur weiteren Diagnostik wird die Kinderärztin oder der Kinderarzt sie an Fachpraxen für Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. -psychotherapie überweisen. Diagnostik und Behandlung können auch in einem Sozial­pädiatrischem Zentrum durchgeführt werden. In einigen Kinder- und Jugendkrankenhäusern gibt es zudem Spezialambulanzen für Kinder und Jugendliche mit ADHS.

    Sandra erzählt über die Diagnose

    Für mich war die Diagnose vor allem befreiend, weil ich nun wusste, wo wir dran sind. All diese diffusen Verhaltensweisen, die wir nicht zuordnen konnten, hatten nun eine Erklärung. Auch mein Mann war froh darüber: Zu Beginn des Diagnosegesprächs saß er mit verschränkten Armen da, am Ende lagen sie entspannt hinterm Nacken. Wir haben uns beide nach der Diagnose ins Thema eingelesen, uns ausführlich damit beschäftigt und sehr viel miteinander darüber geredet.

    Wie entsteht ADHS?


    Ursachen und Risikofaktoren

    Mittlerweile gilt es als sicher, dass Erbfaktoren eine große Rolle spielen.
    Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Eltern von betroffenen Kindern und Jugendlichen selbst häufig ADHS haben. Das bedeutet aber nicht, dass ADHS direkt vererbt wird. Die Veranlagung bringt aber ein erhöhtes Risiko mit sich, ADHS zu entwickeln.

    KÖRPERLICHE URSACHEN
    Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS sind bestimmte neuro­biologische Veränderungen im Gehirn feststellbar. Ihnen mangelt es an dem Botenstoff Dopamin, der für die Koordination der Bewegung, die Steuerung der Gefühle und die zielgerichtete Aufmerksamkeit notwendig ist. Botenstoffe sind dazu da, Informationen im Gehirn weiterzuleiten.
    Der Dopaminmangel ist ein Grund dafür, dass es den Kindern und Jugendlichen schwerfällt, ihren Bewegungsdrang, ihre Gefühle und ihre Aufmerksamkeit zu kontrollieren. Fachleute sprechen von einer »verminderten Fähigkeit zur Selbststeuerung«.

    Grundsätzlich ist das menschliche Gehirn in der Lage, die Aufmerk­samkeit auf die jeweils relevanten Reize zu konzentrieren und die unwichtigen zu ignorieren. Kinder und Jugendliche mit ADHS aber nehmen sämtliche Reize aus ihrer Umwelt ungefiltert auf und können sie nicht richtig verarbeiten. Dadurch wird ihr Gehirn ständig mit vielen unwichtigen Details überfrachtet. Um mit dieser Veranlagung gut umgehen zu können, brauchen sie konkrete Unterstützung und Hilfe, insbesondere klare, überschaubare und berechenbare Strukturen und Regeln.

    ℹ️ Eltern finden Tipps für den Alltag mit ADHS-Kindern in Abschnitt 07b⮧

    UMWELTEINFLÜSSE
    Nicht jedes erblich vorbelastete Kind bekommt selbst ADHS. Wichtig hierbei ist, unter welchen Lern- und Umwelt­bedingungen es aufwächst und ob auf seine »Besonderheit« angemessen eingegangen wird.

    Hinzu kommen Faktoren, die das Risiko erhöhen, an ADHS zu erkranken, bzw. die den Verlauf der Erkrankung negativ beeinflussen.
    Diese Risikofaktoren können, müssen aber nicht zwingend bei der Entstehung von ADHS eine Rolle spielen.

    So haben beispielsweise Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft geraucht haben, ein zwei- bis vierfach erhöhtes Risiko, ADHS zu entwickeln

    Immer wieder wird der Einfluss der Ernährung auf die Entstehung von ADHS diskutiert. So stehen etwa Farb- und Konservierungsstoffe sowie allergieauslösende Nahrungsmittel im Verdacht, ADHS-Symptome auszulösen oder zu verstärken. Bislang konnte ein direkter Zusammen­hang nicht nachgewiesen werden.

    ℹ️ Wie Eltern den Alltag gut meistern können und welche Unter­stützungsangebote es für Eltern von ADHS-Kindern gibt, wird im Kapitel »ADHS im Familienalltag« in Abschnitt 07b⮧ beschrieben.

    GESELLSCHAFTLICHE EINFLÜSSE
    In unserer modernen Welt gibt es weitere ungünstige Faktoren wie mangelnde Bewegung, Reizüberflutung und stundenlange Bildschirm­zeiten. Sie schaden grundsätzlich allen Kindern, aber in ganz besonderem Maße Kindern mit ADHS.

    Um so wichtiger ist es, dass Kinder mit ADHS in ihrer Freizeit Dinge tun, die ihren Fähigkeiten und Einschränkungen entsprechen und ihrem hohen Bewegungsdrang gerecht werden.
    Die hohe Bewertung von Leistung in unserer Gesellschaft stellt Kinder und Jugendliche mit ADHS vor besondere Probleme. Beim Vergleich der schulischen Leistungen wird offensichtlich, dass ihnen vieles, was anderen Kindern und Jugendlichen leichtfällt, selbst mit größter Mühe nicht oder nur sehr schwer gelingt. Dass sie in anderen Bereichen durch­aus hohe Fähigkeiten und Begabungen haben, wird dabei leicht über­sehen.
    Damit Kinder und Jugendliche mit ADHS das Bestmögliche aus ihrer Situation machen, ist es wichtig, den Kreislauf aus Auffälligkeit, Abwertung und Druck, Widerstand, Aggression und Enttäuschung zu durchbrechen. Dabei sind die betroffenen Kinder auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen.

    Wie wird ADHS behandelt?


    Hilfe auf mehreren Ebenen

    Trotz der einheitlichen Definition der ADHS Symptome kann das Erscheinungsbild der Störung bei den einzelnen Kinder sehr unterschiedlich sein. Daher muss die Behandlung an den Bedarf angepasst und individuell ausgerichtet werden. Entscheidend dabei ist, dass Eltern in ihrem Erziehungsverhalten gestärkt werden und Kita Fachkräfte, Lehrerinnen bzw. Lehrer Sicherheit im Umgang mit ADHS haben.

    Um festzustellen, wie eine sinnvolle Behandlung aussehen kann, sind verschiedene Fragen zu klären:

  • Wie alt ist das Kind oder der Jugendliche?
  • Wie ausgeprägt ist die Störung?
  • Welche Begleitstörungen liegen vor?
  • Wie hoch ist der Leidensdruck?
  • Hat es bereits Therapieversuche gegeben?
  • Welche Wünsche haben der oder die Betroffene und seine Bezugs­personen?
  • In der Praxis hat sich eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen als hilfreich erwiesen. Ärztliche bzw. psychologische Fachkräfte stellen ein solches »multimodales Behandlungskonzept« stets individuell zusammen. Die Basis hierfür bildet eine sorgfältig durchgeführte Diagnostik.

    Am Beginn jeder Behandlung stehen ausführliche Aufklärungs- und Beratungsgespräche mit medizinischen und psychologischen Fach­kräften. Darin einbezogen werden nicht nur die Eltern und das Kind bzw. der Jugendliche selbst, sondern nach Möglichkeit auch dessen Erziehungs- und Lehrkräfte. Ziel ist, dass alle Beteiligten ein besseres Verständnis für das Störungsbild ADHS entwickeln. Außerdem werden die einzelnen Behandlungsschritte dargestellt und besprochen.

    Eltern von Kindern, die sich auffällig verhalten, ohne dass bereits ADHS festgestellt worden ist, oder auch von Kindern mit einer leichten ADHS können eine Erziehungsberatung in Anspruch nehmen. Das bedeutet nicht, dass sie denken müssen, ihr Umgang mit dem Kind oder ihre Erziehung seien nicht richtig. Dieses Angebot kann vielmehr als Möglichkeit gesehen werden, das Verhalten des Kindes besser zu verstehen und zufriedenstellender darauf zu reagieren. Auch gibt es für Eltern und pädagogische Fachkräfte spezielle Trainings, die helfen können, ADHS zu verstehen und angemessen mit dem betroffenen Kind umzugehen.

    ℹ️ Weitere Informationen zu Elterntrainings: Abschnitt 07⮧


    Psychosoziale Maßnahmen

  • ihr eigenes Verhalten besser kontrollieren,
  • ihren Alltag altersgerecht organisieren können,
  • sich Gleichaltrigen und Erwachsenen gegenüber angemessen verhalten,
  • mit Problemen besser umgehen,
  • anderen zuhören und
  • ihre Gefühle regulieren und angemessen ausdrücken können.
  • Nicht jeder der genannten Punkte ist für jedes Kind relevant. Bei der Planung der Behandlung wird gemeinsam mit dem Kind und den Eltern entschieden, welche Maßnahmen förderlich sind. So kann es einem Kind helfen, zur Ergotherapie zu gehen, um seine Motorik besser zu steuern und auszubauen, einem anderen hilft ein Training zur Selbstorganisation. Ergänzend können psychologische oder psychiatrische Behandlungen verordnet werden.

    Zur Umsetzung psychosozialer Maßnahmen sowie medizinischer und psychologischer Therapie im Rahmen eines Behandlungsplans arbeiten viele Fachkräfte zum Wohl des betroffenen Kindes oder Jugendlichen zusammen, wie obige Abbildung 4 zeigt. Die Unterstützung der Eltern spielt bei allen Maßnahmen eine zentrale Rolle, und für jede Fachkraft ist der Austausch mit ihnen entscheidend für den Erfolg dieser Maßnahmen.

    Für Eltern und pädagogische Fachkräfte gibt es spezielle Trainings, die meist auf dem verhaltenstherapeutischen Ansatz beruhen.

    ℹ️ Weitere Informationen zu Elterntrainings: Abschnitt 07⮧


    Behandlung mit Medikamenten

    Ob ADHS mit Medikamenten behandelt werden soll, wird seit Jahren kontrovers und emotional diskutiert. Eltern sind durch die öffentlich geführte Debatte oft sehr verunsichert und wissen nicht, was sie tun sollen.

    Für die Entscheidung, ob das betroffene Kind Medikamente einnehmen soll oder nicht, steht dem Arzt oder der Ärztin eine wissenschaftlich begründete ADHS-Leitlinie als Orientierungshilfe zur Verfügung. Sie liefert wissenschaftlich begründete Empfehlungen, wann die Mittel zum Einsatz kommen sollen und wann nicht. Medikamente können eine wichtige Ergänzung zu anderen Behandlungsformen darstellen. Sie sind dabei stets nur ein Baustein in einer Gesamtbehandlung. Bevor ein Medikament zur Behandlung von ADHS gegeben wird, ist es wichtig, dass die Bezugspersonen des Kindes und das Kind selbst gut verstanden haben, was ADHS bedeutet und welche Therapie­möglich­keiten es gibt.

    Der Einsatz von Medikamenten richtet sich laut aktueller Leitlinie nach dem Schweregrad der Erkrankung:

  • Bei leichter ADHS ist der Lebensalltag des betroffenen Kindes und Jugendlichen nur wenig beeinträchtigt. In der Regel ist eine psycho­soziale Behandlung ausreichend.
  • Bei mittelschwerer Ausprägung treten die Probleme deutlich zutage. Hier werden entweder eine psychosoziale/‌psychotherapeutische Behand­lung oder eine medikamentöse Behandlung oder eine Kombination dieser Behandlungsansätze empfohlen. Bei der Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Medikamenten bei einer mittelschweren ADHS sollte auf jeden Fall der Wille des betroffenen Kindes und Jugendlichen berücksichtigt werden.
  • Bei einer schweren ADHS belasten die Symptome das Leben in Familie, Schule und Freizeit ganz erheblich. In diesem Fall können Medikamente die Voraussetzung schaffen, dass eine psychosoziale Behandlung erfolgreich durchgeführt werden kann.
  • Bei einer medikamentösen Behandlung ist es notwendig, Wirkungen und Nebenwirkungen in mindestens sechsmonatigen Abständen zu kontrollieren.
    Unbedingt klar sein sollte, dass die Tabletten keine Problemlöser sind, sondern nur ein Hilfsmittel.
    Zur medikamentösen Behandlung sind zur Zeit in Deutschland verschiedene Wirkstoffe zugelassen: Methylphenidat, Amphetamin und Lisdexamphetamin sowie Atomoxetin und Guanfacin. In der Regel wird Methylphenidat verordnet, das unter anderem unter dem Präparatnamen Ritalin vertrieben wird. Bei circa 85 Prozent der Behandelten vermindern sich damit die Symptome. Die Kinder und Jugendlichen können sich besser konzentrieren, in der Schule besser mitarbeiten und ihren über­mäßigen Bewegungsdrang besser kontrollieren.
    Die Nebenwirkungen der zugelassenen Medikamente sind in der über­wiegenden Zahl der Fälle gering. Sie treten meist nur vorübergehend auf und verschwinden fast immer mit Absetzen der Medikamente. In seltenen Fällen kommt es auch zu schwereren Nebenwirkungen.

    Sandra erzählt über Medikamente

    Bei Lukas begann die medikamentöse Behandlung, als er 11 Jahre alt war.
    Damals wurde es in der Schule wirklich schwierig. Er kam nicht mehr mit, konnte die Hausaufgaben nicht erledigen, er turnte im Unterricht rum, rief ständig dazwischen, machte den Klassenclown.
    Schließlich haben wir entschieden, dass er ein Medikament bekommt, damit ihm alles leichterfällt.

    Am wichtigsten ist, dass es gut eingestellt wird. Wir haben uns damals langsam an die passende Dosis herangepirscht. Man fängt mit ganz wenig Wirkstoff an, bis die Ärztin schließlich gemeinsam mit uns und Lukas gesagt hat: Das fühlt sich jetzt gut an.

    Paula hingegen wollte keine Medikamente. Wir haben ihr eine minimale Dosis gegeben, und sie fühlte sich dadurch deutlich verändert und hat es rundheraus abgelehnt. Für sie fühlte es sich an wie »Brause im Kopf«. Sie hat für sich beschlossen: Ich schaffe das alleine.
    Hat sie alles in allem auch. Aber obwohl sie weniger stark betroffen ist als Lukas, kämpft sie bis heute mehr mit den Folgen. Sie ist deutlich unordentlicher, vergisst häufiger Sachen und ist sehr verträumt.


    (Teil-)Stationäre Therapie

    In der Regel wird sowohl die Diagnostik als auch die Behandlung ambulant durchgeführt.
    Das Kind bzw. der oder die Jugendliche bleibt also die ganze Zeit über in der Familie. Nur in Ausnahmefällen, also bei besonders ausgeprägter ADHS-Symptomatik, schweren Begleitstörungen oder wenn die Situation in der Familie sehr problematisch ist, entscheidet man sich für eine stationäre oder teilstationäre Therapie. Infrage kommen Kliniken, Jugendhilfe- oder Rehabilitationseinrichtungen.

    ADHS im Familienalltag


    Eine Herausforderung für Eltern

    Ein Kind mit ADHS großzuziehen, ist eine besondere Heraus­forderung – turbulent, bunt, aber vor allem eins: anstrengend. Viele Konflikte und Probleme sind auszuhalten und zu bewältigen. Das Kind fordert sehr viel Aufmerksamkeit, dadurch fühlen sich auch Geschwister oft vernachlässigt und belastet.

    Bei all diesen Anforderungen verblassen manchmal die schönen Momente, die Eltern und Kinder miteinander erleben. Trotz aller Bemühungen passiert es dann, dass bei einem Kind mit ADHS in erster Linie das unpassende Verhalten gesehen wird. Wenn weder gutes Zureden noch Ermahnungen weiterhelfen, ist es nicht verwunderlich, wenn selbst nervenstarke Eltern irgendwann nicht mehr weiterwissen.

    Sie probieren die unterschiedlichsten Wege aus, um dennoch zu ihrem Kind durchzudringen. Wechselnde Erziehungsmethoden erschweren den Betroffenen jedoch die dringend benötigte Orientierung und verstärken eher die Auffälligkeiten. So kann sich ein Kreislauf entwickeln, der es Eltern zunehmend schwerer macht, ihrem Kind gegenüber liebe­voll und zugewandt zu bleiben.

    Sandra erzählt über die Beziehung zu ihrem Mann

    Mein Mann und ich haben immer aufgepasst, dass wir uns nicht komplett selbst auflösen, sondern auch unsere eigenen Sachen durchziehen. Wir waren beide berufstätig und haben immer auch etwas für uns getan, zum Beispiel einen Babysitter engagiert oder sind zusammen essen gegangen.

    Ich glaube, es ist enorm wichtig, sich ab und zu mal rauszuziehen. Die Kinder sind halt sehr fordernd, und da muss man drauf eingehen. Aber so sind sie nun mal, sie machen das ja alles nicht, um uns zu ärgern, sondern weil sie nicht anders können.

    Eine Folge davon kann sein, dass sich diese Kinder und Jugendlichen selbst als »anders« und weniger wertvoll wahrnehmen. Wenn dann noch Eltern, etwa wegen der schlechten schulischen Leistungen, Druck aus­üben, führt das schnell zu Trotz, Widerstand und Resignation. Lassen sich die Eltern hierdurch provozieren und reagieren entsprechend gereizt, kann die Situation in der Familie eskalieren. Eine solch anhaltend auf­geladene Konfliktsituation wiederum kann dazu beitragen, dass sich eine bereits vorhandene Störung noch verstärkt.

    Wenn dann die Diagnose ADHS gestellt wird, wissen die Eltern, dass das Verhalten ihres Kindes durch eine psychische Störung und nicht durch eigene Erziehungsfehler verursacht wird. Diese Klarheit ist erst einmal eine große Entlastung. Nun können sie überlegen, ob und welche Unter­stützungsangebote sie in Anspruch nehmen möchten.

    In Gesprächen mit medizinischen und psychologischen Fachkräften bekommen sie Gelegenheit, über ihre Erfahrungen zu reden.

    In den Trainings geht es auch darum, dass Eltern die Sicht auf ihr Kind überdenken und gegebenenfalls verändern: Nicht das Fehlverhalten soll im Mittelpunkt stehen. Die liebenswerten Eigenschaften, Stärken und Fähigkeiten werden zentral und die Eltern dazu ermutigt, diese (wieder) deutlich zu sehen.

    Eine wertvolle Hilfe für Eltern ist ein guter Kontakt zu den Erziehungs- und Lehrkräften in Kita oder Schule. Gemeinsam kann man Probleme und Fortschritte durchsprechen und das Verhalten aufeinander abstimmen. Auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe ist für viele Eltern eine nützliche Hilfe und Entlastung.
    Der regelmäßige Austausch mit anderen, die ähnliche Probleme haben, kann helfen, den oft nervenaufreibenden Alltag zu meistern.

    ℹ️ Elterntrainings können zu verschiedenen Themen konkrete Anleitung geben:

  • Wirksame Methoden für konkrete Problemsituationen
  • Ideen, um die positive Beziehung zum Kind zu stärken
  • Tipps, um mit der Belastung umzugehen und auch an sich selbst zu denken
  • Die wichtigsten Infos zu ADHS
  • Sandra erzählt über Strukturen

    Ich pendle permanent zwischen zwei Polen. Für den täglichen Ablauf ist es richtig, Strukturen zu schaffen, die immer gleich und verlässlich sind, also dann und dann wird gefrühstückt, zu Mittag gegessen, Abendbrot gegessen, davor wird noch ein Buch gelesen und so weiter. Das muss man gnadenlos einhalten. Auf der anderen Seite muss man in der Lage sein, von diesem Plan abweichen zu können, um auf eine spontane Idee des Kindes zu reagieren. Denn die haben so oft richtig gute Ideen! Also wenn ihnen einfällt, man könnte ja einen Ausflug machen oder Spaghetti statt Kartoffeln essen, nicht gleich dagegen wettern, sondern sich die Idee aufgeschlossen angucken. Und wenn’s nicht passt, den Ausflug aufs Wochenende legen oder die Idee für morgen aufschreiben. Also insgesamt einerseits super organisiert sein und auf der anderen Seite viel Freude an Spontaneität und Flexibilität haben. Dadurch gewinnt man ja auch selbst!

    📌 Tipps für den Alltag mit ADHS-Kindern

    Die wichtigste Frage vieler Eltern von Kindern und Jugendlichen mit ADHS lautet: Wie meistere ich den Alltag? Wie schaffe ich es, trotz der vielen Turbulenzen meinem Kind Liebe und Geborgenheit zu schenken?
    Die folgenden Tipps und Anregungen können helfen:

    Kinder und Jugendliche mit ADHS erfordern sehr viel Kraft von ihren Eltern. Von daher ist es wichtig und richtig, die eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen.

    Auch mal den eigenen Wünschen nachzugehen, ist nicht egoistisch, sondern hilft, neue Energie zu schöpfen.
    Es ist nicht leicht, immer gelassen zu bleiben, und es bleibt nicht aus, dass man auch mal verzweifelt oder wütend ist. Manchmal hilft es Eltern, sich wieder bewusst zu machen, dass ihr Kind eine Störung hat und sich nicht anders verhalten kann. In anderen Fällen kann es sinnvoll sein, eine Auseinandersetzung zu unterbrechen und in ein anderes Zimmer zu gehen oder einen kurzen Spaziergang zu machen, um wieder zu neuer Kraft und Gelassenheit zu finden.

    UNTERSTÜTZUNG ANNEHMEN
    Wer ein Kind mit ADHS hat, muss nicht alleine mit allem fertigwerden. Wenn Eltern professionelle Unterstützung brauchen, sollten sie diese in Anspruch nehmen. Auch Freunde und Angehörige bieten oft tatkräftige Hilfe an.

    ENTSPANNTEN UMGANG VERSUCHEN
    Alle Eltern wollen in der Erziehung immer alles ganz genau richtig machen, unabhängig davon, ob ihr Kind ADHS hat oder nicht.
    Mit dem Streben nach Perfektion macht man es sich aber selbst und dem Kind unnötig schwer. Wichtiger als ein perfekter ist ein entspannter Umgang mit dem Verhalten des Kindes.

    POSITIVES HERVORHEBEN
    Häufig ist die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind so stark belastet, dass nur noch die negativen Anteile und Erfahrungen gesehen werden. Ein Grund mehr, für gemeinsame schöne Erlebnisse und Momente zu sorgen, das Positive zu sehen und es dem Kind so häufig wie möglich zu sagen.

    KLARE REGELN AUFSTELLEN
    Kinder und Jugendliche mit ADHS brauchen klare Ansagen, die ihnen Orientierung und Sicherheit geben. Dabei gilt: lieber wenige Regeln, die konsequent eingehalten werden, als viele Regeln, die sie nicht über­blicken können.

    LOBEN
    Kaum etwas bestärkt Kinder und Jugendliche mit ADHS so sehr wie ein freundliches Lob.
    Und zwar immer dann, wenn sie etwas gut gemacht haben. Positive Rückmeldungen wirken wie eine Belohnung. Eltern können damit zum Ausdruck bringen, dass sie ihr Kind wertschätzen und lieben.

    DIREKTE, DEUTLICHE RÜCKMELDUNG BEI REGELVERSTÖSSEN
    Wenn Kinder oder Jugendliche regelmäßig dafür gelobt werden, wenn sie die vereinbarten Regeln befolgen, sollten umgekehrt auch negative Konsequenzen folgen, wenn sie sich nicht daran halten. Die Konse­quenzen müssen nicht hart sein, denn es geht nicht darum, sie leiden zu lassen, sondern darum, dass die Botschaft bei ihnen ankommt. Sich an Regeln zu halten, braucht Übung. Deshalb ist es wichtig, stets dasselbe Schema einzuhalten – das heißt immer dieselbe Konsequenz bei jedem Regelübertritt, und zwar unmittelbar und nicht erst Stunden später.

    SIGNALE VEREINBAREN
    Eltern wissen meist genau, welche Situationen mit ihrem Kind besonders problematisch sind. Es kann helfen, im Vorfeld mit dem Kind zu verein­baren, es immer kurz vorher an die drei wichtigsten Regeln zu erinnern. Manchmal reicht schon ein Blick oder Augenzwinkern als Signal. Und wenn es geklappt hat, sollten Eltern ihr Kind unbedingt loben.

    REIZARME UMGEBUNG SCHAFFEN
    Kinder und Jugendliche mit ADHS brauchen Ruhe. Eine entspannte Atmosphäre sowie ein reizarmer Spiel-, Arbeits- und Schlafplatz tragen dazu bei, dass sie sich besser konzentrieren oder schneller einschlafen können. Es sollte nichts herumstehen, das gerade nicht gebraucht wird oder ablenken könnte.

    KLAR STRUKTURIERTER TAGESABLAUF
    Kindern und Jugendlichen mit ADHS hilft es, sich an klaren, immer wiederkehrenden Strukturen im Tagesablauf orientieren zu können. Soweit dies machbar ist, sollte also möglichst jeder Tag dem anderen ähneln.
    Das können feste Essenszeiten, ein immer wiederkehrendes Spiel am Abend oder auch ein tägliches Ritual zur Bettgehzeit sein.

    Fazit
    Für Kinder und Jugendliche mit ADHS sind verlässliche und liebevolle Bindungen enorm wichtig. Sie brauchen jedoch auch eindeutige Grenzen, eine reizarme Umgebung und klare Strukturen mit überschau­baren Regeln.

    ADHS in der Kita


    Die Situation in der Kita

    Sie zu integrieren, gelingt schwer, und die üblichen Hilfestellungen, um sie in die Gruppe einzufügen, scheitern häufig. Es sind Kinder, die sich oft nicht an Regeln halten können, schwer auf Anweisungen reagieren und nur schlecht mit Hindernissen oder Enttäuschungen umgehen können. Viele haben Mühe mit alltäglichen Dingen wie Anziehen oder Zähne­putzen, und häufiger als andere sind sie in Unfälle verwickelt. Für Erzieherinnen und Erzieher stellt sich die Frage, ob das Verhalten noch altersgerecht oder bereits auffällig ist und welche Gründe es hat.


    Was können Erzieherinnen und Erzieher tun?

    Wichtig ist, sich klarzumachen, dass die Kinder nicht absichtlich so handeln und dass es ihnen nicht möglich ist, »etwas einzusehen« oder sich »von Grund auf zu verändern«. Ein solcher Anspruch kann nur scheitern. Sich bewusst zu machen, dass es nicht etwa ein bösartiger »Charakter« der Kinder ist, sondern eine Störung, hilft, eine positive Beziehung zu ihnen zu bewahren.

    Es gibt einiges, was Erziehende zur Unterstützung von Kindern mit auffälligem Verhalten tun können.

    Ziel sollte es sein, den Kita Alltag in harmonische Bahnen zu lenken.
    Dazu gehört, sich stets zu versichern, dass die eigenen Anweisungen bei dem Kind tatsächlich ankommen, zum Beispiel durch Aussprechen einfacher und kurzer Botschaften, durch Blickkontakt oder Antippen. Auch das Kind mehr zu loben als zu tadeln oder es nicht vor anderen Kindern oder Erwachsenen bloßzustellen und zu kritisieren, sind wichtige Maßnahmen.

    Ein immer wiederkehrender Tagesablauf mit festen Ritualen schafft Sicherheit und Orientierung und macht den Alltag für die Kinder vorhersehbar (zum Beispiel durch Willkommens- und Abschiedsrituale oder Lieder).
    Auch das Zuordnen von klar erkennbaren Funktionen zu einzelnen Räumen oder Bereichen, wie zum Beispiel Ruhe- und Bewegungszone, Werk- oder Gruppenräumen, hilft den Kindern, sich zu orientieren.

    Für die Diagnose und Behandlung von ADHS spielt die Kita eine sehr wichtige Rolle. Oft sind es die Erzieherinnen bzw. Erzieher, die merken, dass ein Kind ADHS haben könnte, und Eltern auf die Auffälligkeiten aufmerksam machen. Dabei sollten sie sich aber unbedingt darauf beschränken, nur ihre Beobachtungen mitzuteilen, und nicht vorschnell das Urteil fällen: »Das Kind hat ADHS.« Ihre Beobachtungen und Informationen sind aber eine wertvolle Hilfe und ein wichtiger Baustein bei der Erstellung der Diagnose. Hierzu kommen spezielle Fragebögen zum Einsatz.

    Auch bei der Behandlung von ADHS leistet die Kita einen wichtigen Beitrag. Regelmäßige Gespräche mit den Eltern sind wünschenswert und hilfreich, denn zwischen Kita und Elternhaus abgestimmte Regeln und Maßnahmen unterstützen das Kind bei einer guten Entwicklung. Erzieherinnen und Erzieher können Eltern auf Probleme aufmerksam machen und über Hilfsangebote aufklären. Im ständigen Austausch zwischen Kita-Fachkräften und Eltern können für das betroffene Kind verlässliche und abgestimmte Maßnahmen zur Behandlung der ADHS gefunden werden.

    Für die Planung und Durchführung von Elterngesprächen bietet das zentrale adhs netz e. V. umfassende Hilfestellungen und Materialien an.

    ADHS in der Schule


    Die Situation in der Schule

    In der Schule müssen Kinder und Jugendliche mit ADHS genau das tun, was sie am wenigsten können: über einen längeren Zeitraum ruhig auf ihrem Platz sitzen bleiben und sich auf den Inhalt der Unterrichtsstunde konzentrieren.

    Da Kinder und Jugendliche mit ADHS bei den Anforderungen in der Schule schnell auffallen, fragen sich Lehrerinnen und Lehrer, was mit ihnen los ist. Warum haben sie die richtigen Bücher und Hefte oft nicht dabei?

    Warum tun sie nicht, was man ihnen sagt?
    Warum merken sie nicht, dass sie dauernd den Unterricht stören, und warum sind sie so unruhig? Haben sie ADHS? Oder haben sie irgend­welche Probleme im Elternhaus? Oder liegt es bloß daran, dass sie schlecht erzogen sind und die Eltern nicht auf Sorgfalt und Ordnung achten? Oder mangelt es ihnen an Fähigkeiten und Intelligenz? Viele Lehrerinnen und Lehrer tun ihr Bestes und versuchen alles, um mit diesen Kindern und Jugendlichen klarzukommen und sie zu integrieren.
    Das ist alles andere als einfach und kann zu einer großen Belastung werden.

    Sandra erzählt über Lösungen

    Der Rhythmus eines normalen Schulunterrichts ist nicht der Rhythmus, den so ein Kind hat. Kinder mit ADHS lernen anders als andere Kinder. Ein Beispiel:
    Es ging ums Vokabellernen. Nichts ging voran, keine Vokabel blieb hängen, es war schlimm. Dann fing Lukas von sich aus an, auf einem karierten Blatt Papier die Kästchen auszumalen oder sie zu umzeichnen, eins nach dem anderen, er verfiel dabei regelrecht in eine Art Trance.
    Und auf einmal konnte er alle Vokabeln!
    […] Ich habe ihn gelobt und dann gefragt: »Hast du auch gemerkt, was passiert ist?« »Ja.« Das waren so Punkte, als das Kind feststellte: Okay, ich bin anders, aber: Es gibt immer eine Lösung! Es wird einen Weg bzw. eine Verhaltensweise geben, die mir hilft.


    Wie können Lehrerinnen und Lehrer helfen?

    Bei erheblichen Problemen mit den Schulleistungen sollte zunächst abgeklärt werden, ob eine Intelligenzminderung oder eine Lernstörung wie eine Lese-Rechtschreib-Schwäche vorliegt. Sehr wichtig ist dann eine adäquate Förderung – sei es in speziellen Förderstunden oder im regulären Unterricht.

    Es gibt mehrere Möglichkeiten, um die Lernbedingungen in der Schule so zu verbessern,
    dass alle profitieren – also Kinder oder Jugendliche und Lehrkräfte. Lehrerinnen und Lehrer sollten sich nicht scheuen, hierfür Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen – der Unterricht in einer Klasse mit verhaltensauffälligen Kindern oder Jugendlichen ist schließlich schon anstrengend genug.


    Hilfe für Lehrerinnen und Lehrer

    Ähnlich wie Elterntrainings gibt es Trainings für Lehrkräfte, in denen es speziell um die ADHS-Symptomatik im schulischen Umfeld geht. Die Angebote gibt es für Einzelpersonen oder Gruppen. Lehrkräfte haben darüber hinaus die Möglichkeit, Beratungen auf verhaltenstherapeu­tischer Basis zu erhalten.

    Diese Maßnahmen sollen ihnen helfen, die Problematik, aber auch die Bedürfnisse eines Kindes mit ADHS besser zu verstehen und ange­messen darauf einzugehen.

    Sinnvoll ist die Kombination von Eltern- und Lehrertrainings. Den Lehr­kräften sollte schriftliches Material über die Inhalte des Elterntrainings zur Verfügung gestellt werden, damit ein gegenseitiger Austausch möglich ist.


    Kooperation mit Eltern und anderen Bezugspersonen

    Leider passiert es immer wieder, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS viel Ablehnung erfahren. Sie fühlen sich ungerecht behandelt und klagen zu Hause, die Lehrerin bzw. der Lehrer sei »unfähig und doof«. Wenn Eltern sich dann vollkommen auf die Seite ihres Kindes stellen und ihm beipflichten, dass alles nur an der Lehrerin oder dem Lehrer liegt, ver­härten sich die Fronten. Umgekehrt glauben Lehrerinnen und Lehrer schnell, dass die Eltern versagen und diese es sind, die es nicht schaffen, ihr Kind richtig zu erziehen. Um solche Konflikte zu vermeiden, ist es wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer genauso wie Eltern über die Hintergründe und Ursachen von ADHS Bescheid wissen.
    Erst wenn die Lehrkräfte verstehen, was es heißt, ein Kind mit ADHS großzuziehen, können sie Eltern mit der gebotenen Wertschätzung begegnen. Und Eltern verstehen dann, was es bedeutet, in einer großen Klasse ein Kind zu unterrichten, dem es sehr schwerfällt, sich an die Klassenregeln zu halten.

    Um Kindern und Jugendlichen mit ADHS eine möglichst gelungene Schulzeit zu ermöglichen und um Lehrkräfte und Eltern zu ent­lasten, ist es wichtig, dass die Erwachsenen sich untereinander austauschen und gemeinsam an einem Strang ziehen.
    Lehrerinnen und Lehrer können in Elterngesprächen auf Probleme aufmerksam machen und über Hilfsangebote aufklären. Auch mit den anderen Bezugspersonen aus dem medizinischen und therapeutischen Bereich sollten sie möglichst regelmäßig sprechen, damit alle Beteiligten auf demselben Stand sind und gemeinsam die besten Lösungen für das Kind finden können.

    Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, um die Lernbedingungen in der Schule so zu verbessern, dass alle profitieren – sowohl Kinder oder Jugendliche als auch Lehrkräfte.

    Schülerin/Schüler
    Eine konkrete Anleitung zur Umsetzung der einzelnen Tipps inklusive hilfreicher Downloads erhalten Sie hier: www.zentrales-adhs-netz.de
     Mögliche Hilfen gibt es auf der individuellen Ebene. Das bedeutet vor allem, auf die positiven Eigenschaften des Kindes zu schauen, jeden Fortschritt oder etwas Gelungenes zu loben, klare Regeln aufzustellen, wirkungsvolle Aufforderungen zu geben, aber auch Konsequenzen folgen zu lassen, wenn Regeln nicht eingehalten werden.

    Klasse
    Praktische Tipps zu Strukturierungsmaßnahmen für den Unterricht finden Sie hier: www.zentrales-adhs-netz.de
     Auch auf Klassenebene besteht Potenzial, die Lernbedingungen zu optimieren. Der Klassenraum sollte so eingerichtet sein, dass betroffene Kinder oder Jugendliche möglichst wenig abgelenkt werden. Eventuell ist es besser, die Tische in Reihen statt in Gruppen anzuordnen. Wichtig ist ein Sitzplatz, den die Lehrkraft gut im Blick hat, damit sie direkt reagieren kann, wenn eine Situation problematisch wird. Manchmal hilft schon ein Blick, ein leichtes Antippen oder eine kurze Bemerkung, um dem Kind zu signalisieren, dass es in einer schwierigen Situation nicht allein ist, oder um es aus seinen Tagträumen zu holen.
    Der Rückhalt der Lehrperson vermittelt Sicherheit und fördert die Akzeptanz durch Mitschülerinnen und Mitschüler. Eine Erleichterung sind zudem gut strukturierte und möglichst wiederkehrende Arbeitsabläufe und leicht verständliche Klassenregeln. Kurze Bewegungspausen im Unterricht können die Bewegungsunruhe eindämmen. Bei Klassen­arbeiten könnte das Kind vorübergehend in einen separaten Raum gesetzt werden. Auch im Laufe des Schultages zu bewältigende Lehrkraft- und Raumwechsel sollten gut organisiert werden, um ihm zu helfen, pünktlich zur nächsten Unterrichtsstunde da zu sein.

    Schule
    Detaillierte Infos zu den schulrechtlichen Rahmenbedingungen finden Sie hier: www.zentrales-adhs-netz.de
     Auf schulischer Ebene ist es nützlich, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen, etwa durch Förderpläne, Nachteilsausgleich oder sonder­pädagogische Förderung. Auch die Einrichtung eines separaten Trainingsraumes und einer ADHS-Infothek, in der Informations­materialien rund um ADHS gesammelt zur Verfügung gestellt werden, ist sinnvoll. Lehrkräfte sollten die Möglichkeit bekommen, an entsprechen­den Fortbildungen teilzunehmen und Supervision in Anspruch zu nehmen.

    Adressen

    Umfassende Informationen zum Thema ADHS bei Kindern und Jugendlichen sowie Adressen von Elterninitiativen in der Nähe Ihres Wohnorts finden Sie bei folgenden Vereinigungen:

    zentrales adhs netz
    Universitätsklinikum Köln
    🖃 Pohligstraße 9, 50969 Köln
    (0221) 478 898 76
    📠 (0221) 478 898 79
    zentrales-adhs-netz@uk-koeln.de
    www.zentrales-adhs-netz.de
    www.adhs.info

    ADHS Deutschland e. V.
    Selbsthilfe für Menschen mit ADHS
    🖃 Rapsstraße 61, 13629 Berlin
    (030) 856 059 02
    📠 (030) 856 059 70
    info@adhs-deutschland.de
    www.adhs-deutschland.de

    Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder und Jugendärzte e. V.
    🖃 Postfach 50 01 28, 22701 Hamburg
    ☎ keine Angabe
    📠 (040) 389 155 88
    info@ag-adhs.de
    www.ag-adhs.de

    Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit Teilleistungs-/ Wahrnehmungsstörungen e. V.
    🖃 c/o Andreas Herzog, Blücherstraße 67, 40477 Düsseldorf
    (0170) 388 10 08
    info@bag-tl.de
    www.bag-tl.de


    Adressen kinder‑ und jugendpsychiatrischer, psychosomatischer und psychotherapeutischer Universitätskliniken finden Sie hier:

    Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V.
    🖃 Reinhardtstraße 27B, 10117 Berlin
    (030) 280 943 86
    📠 (030) 275 815 38
    geschaeftsstelle@dgkjp.de
    www.dgkjp.de


    Adressen von Ärztinnen und Ärzten für Kinder‑ und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie finden Sie hier:

    Berufsverband für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e. V.
    🖃 Rhabanusstraße 3, 55118 Mainz
    (06131) 693 80 70
    📠 (06131) 693 80 72
    mail@bkjpp.de
    www.kinderpsychiater.org


    Adressen von Kinder‑ und Jugendpsychotherapeutinnen und ‑psychotherapeuten finden Sie bei folgenden Verbänden:

    Berufsverband der Kinder‑ und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder‑ und Jugendlichenpsychotherapeuten e. V.
    🖃 Unter den Eichen 5, Haus G, 65195 Wiesbaden
    (0611) 880 879 50
    📠 (0611) 880 879 51
    info@bkj-ev.de
    www.bkj-ev.de

    Vereinigung Analytischer Kinder‑ und Jugendlichen-Psychotherapeuten in Deutschland e. V.
    🖃 Helmholtzstraße 13/14, 10587 Berlin
    (030) 398 814 14
    📠 (030) 398 814 16
    geschaeftsstelle@vakjp.de
    www.vakjp.de


    Weitere Suchmöglichkeiten:

    Bundespsychotherapeutenkammer
    www.bptk.de/service/therapeutensuche.html

    Kassenärztliche Bundesvereinigung
    www.kbv.de/html/arztsuche.php

    Impressum

    Stand: August 2021
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    bestellung@bzga.de
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