Tote Zeugen reden nicht!

Wer, um alles in der Welt, schaut sich nachts um 23 Uhr 45 »Grieboo laif« an (zu Deutsch: Kripo live)?

Das können ja nur Leute sein, die seit 40 Jahren mit einer verdächtigen Beobachtung im Schädel von ihren Gewissensbissen geplagt und deshalb um ihren gesunden Schlaf gebracht werden!

Fernsehen ist ja bekanntlich das Schlafmittel mit den geringsten Neben­wirkungen. Und da ich auf meine Gesundheit achte, zappe ich mich nachts durchs Programm, auf der Suche nach dem besten Schlafmittel – und werde bei einem »Ost«sender fündig: Dort bittet die Kripo um Mithilfe bei der Aufklärung steinalter Kriminalfälle. Das hört sich dann ungefähr so an:

Am Ersten Februar 1980 entkamen in Groß-Kummersdorf drei Bankräuber gegen Zwölf Uhr Dreiundzwanzig mit einem silberfarbenen PKW der Marke Volvo mit dem amtlichen Kennzeichen XY-Z 123 in nordöstlicher Richtung, wobei sie auf einer Strecke von fünfhundertvier Metern den Acker des alleinerziehenden dreiundvierzigjährigen Bauern Josef Hein, der drei minderjährige Kinder zu versorgen, ansonsten aber keine anderen Sorgen hat, überquerten, dann in einem Waldstück nahe der Gemeinde Klein-Kummersdorf den PKW stehen ließen und ihren Weg zu Fuß fortsetzten, deren Spur sich dann aber nach siebentausenddreihundertsiebenundfünfzig Metern verlor, weil starker Regen einsetzte, der die Spurensuche nicht unerheblich erschwerte.
Hier die Frage der Kripo: Wer hat am besagten Tag in der Zeit zwischen Zwölf Uhr Elf und Zwölf Uhr Vierundzwanzig verdächtige Beobachtungen gemacht und möchte sich jetzt diesbezüglich erleichtern?

Okay, mein Beispiel hinkt etwas, weil ein Bankraub nach 20 Jahren verjährt, die Kripo also nicht mehr deswegen ermitteln wird (wenn dabei niemand umgebracht wurde). Ich hätte stattdessen auch die Suche nach einem MÖRDER als Beispiel nehmen können – zumal die Zuschauer tatsächlich oft nach 40 und mehr Jahren gefragt werden, welche Beobachtungen sie damals gemacht haben.

Leute, was soll der Scheiß? Wer rennt denn jahrzehntelang mit einer verdächtigen Beobachtung im Kopf herum und erinnert sich just in dem Moment, wenn er von einem sächselnden Kriminalkommissar im MDR danach gefragt wird?

Warum sächseln eigentlich 70 Prozent der Ostdeutschen? War SÄCHSISCH (neben Russisch) vielleicht als zweite Fremdsprache Pflichtfach in DDR-Schulen?

Eigentlich sollte ICH das wissen, weil ich bis 1980 selbst ein »Ossi« war. Allerdings einer, der nur zum SCHLAFEN in die Schule ging, weil es bei 6 jüngeren Geschwistern zu Hause einfach zu laut war. In der Schule sorgten strenge Lehrer notfalls durch körperliche Gewalt für die notwendige Ruhe. (Heutzutage werden sie von Wachschützern vor ihren Schülern beschützt!)

Nach 20 Jahren hat doch selbst der treusorgendste Ehemann den Geburts- bzw. Todestag seiner liebenden Gattin und die Namen seiner Kinder vergessen!
Wie soll sich da dieser Mann an ein Vorkommnis erinnern, das 20 Jahre zurückliegt und damals für ihn keine Bedeutung hatte oder nur geringfügig verdächtig war, dass er es nicht für nötig hielt, diese Beobachtung der Polizei zu melden?!
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass eben dieser Zeuge in den vergangenen 20 Jahren anderes im Kopf hatte? Oder kann es nicht sein, dass er längst das Zeitliche gesegnet hat, sich die Radieschen von unten betrachtet und sein Wissen mit ins Grab genommen hat …?
Tote Zeugen reden nun mal nicht. Und da kann der MDR noch so viel Sendezeit verschwenden!

PS: ICH persönlich weiß nicht mal anderntags, wann und wie ich am Vortag ins Bett gekommen bin oder was ich gestern zu Mittag gegessen habe.
Also, MEINETWEGEN muss man solche Such-Sendungen nicht machen!

Liebe Kripo, wartet doch bitte nicht immer so lange, Zeugen zu suchen.
Ich hab’s mir euretwegen schon zur Gewohnheit gemacht, jede verdächtige Beobachtung in allen Einzelheiten zu dokumentieren, zu archivieren und regelmäßig nachzulesen, damit ich sie im Kopf behalte – und, wenn ich in 15 oder 20 Jahren mal gefragt werde, Zeugnis ablegen kann über meine Beobachtung. (Meine Nachbarn halten mich schon für einen Detektiv oder Mitarbeiter eines Geheimdienstes, weil ich Tag und Nacht mit Fotoapparat, Fernglas und Notizblock um die Häuser renne. Aber soll ich mich denen gegenüber als potenzieller Zeuge outen?!)

Da schleicht er sich an!Ich hoffe nur, dass mich nicht der Sensenmann holt, bevor ich zur Aufklärung des einen oder anderen Verbrechens beigetragen habe. Damit das nicht passiert, schlucke ich täglich Unmengen von Vitaminpräparaten, um mir so meine »Zeugungsfähigkeit« zu erhalten …
Gevatterchen TOD hat sich schon öfter angeschlichen. Aber ich höre das Gras wachsen!
Neulich bin ich nachts wach geworden, weil eine SPINNE die Wand hochschlich …
Das aber nur am Rande.




© 15.01.2001 HansiHerrmann.de