Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Ablauf eines
Bewilligungszeitraums setzen keinen Folgeantrag voraus.
Tatbestand
1 Im Streit sind (nur) noch Leistungen der Grundsicherung im Alter und
bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) für die Zeit vom 1.7.2003 bis 31.12.2004.
2 Der 1949 geborene Kläger lebt bei seinem Vater. Bei ihm sind ein Grad
der Behinderung von 100 und die Merkzeichen “G”, “H” und “RF” anerkannt. Er bezog eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit ab 1.7.2003 in Höhe von 403,12 Euro und ab 1.10.2004 in Höhe von
420,06 Euro.
Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherungsleistungen nach dem Gesetz
über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsgesetz
‹GSiG›) für den Zeitraum vom 1.1.2003 bis 31.3.2003 in Höhe von monatlich 87,33 Euro und für
den Zeitraum vom 1.4.2003 bis 30.6.2003 in Höhe von monatlich 65,33 Euro (Bescheide vom
27.2.2003 und 11.3.2003; Widerspruchsbescheid vom 28.12.2004)
3 Mit einem im Oktober 2004 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben bat der Kläger
“die Rentenanpassung zum 1.7.2003” zu berücksichtigen und einen “neuen Bescheid” zu erteilen.
Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 1.1.2005 Grundsicherungsleistungen
in Höhe von 203,98 Euro monatlich bzw ab 1.4.2005 in Höhe von
164,58 Euro monatlich, lehnte jedoch Leistungen für das Jahr 2004 ab
(Bescheide vom 16.2.2005 und 15.3.2005; Widerspruchsbescheid vom 13.7.2005).
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Beklagte unter entsprechender Abänderung der angefochtenen
Bescheide zu höheren Grundsicherungsleistungen ab 1.4.2005 verurteilt, die Klage jedoch ua
abgewiesen, soweit Leistungen für die Zeit vom 1.7.2003 bis 31.12.2004 im Streit sind
(Urteil vom 15.2.2007). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluss vom 8.8.2007). Zur
Begründung seiner Entscheidung hat sich das LSG im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe
des SG‑Urteils bezogen, wonach der Kläger in dem Zeitraum vom 1.7.2003 bis 31.12.2004 keinen
Anspruch auf Grundsicherungsleistungen habe, weil er nach Ablauf des Bewilligungszeitraums vom
1.1.2003 bis 30.6.2003 erst im Oktober 2004 die Weitergewährung von Grundsicherungsleistungen
beantragt habe. Für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2004 stünden dem Kläger keine
Grundsicherungsleistungen zu, weil sein Einkommen den monatlichen Bedarf überstiegen habe. Bei der
Ermittlung des Bedarfs sei von einem Regelsatz in Höhe von 235 Euro (80 vH des
Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes) auszugehen, weil der Kläger als Haushaltsangehöriger
anzusehen sei. Die Beiträge zur privaten Krankenversicherung seien wegen des vorhandenen
gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Gleiches gelte für die Beiträge zur Rechtsschutzversicherung, weil diese nicht gegen Risiken im
Bereich der grundlegenden Daseinsvorsorge schützten und die unabdingbare Rechtsverfolgung und
‑verteidigung durch das Recht der Prozesskostenhilfe gewährleistet werde. Die Beiträge zur privaten
Unfallversicherung seien nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger diese Beiträge trotz
entsprechender Abfrage im Antragsformular erstmals im Februar 2005 gegenüber der Beklagten geltend
gemacht habe.
4 Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des
§ 6 GSiG. Aus dieser Norm
ergebe sich nicht, dass für jeden Folgezeitraum ein Antrag gestellt werden müsse. Wenn nicht von
einer Fortwirkung der Antragstellung ausgegangen werde, bestehe ein Anspruch auf Leistungen
nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Für die Zeit von Oktober bis Dezember
2004 sei bei der Ermittlung des Bedarfs von einem (höheren) Regelsatz auszugehen, und die geltend
gemachten Versicherungsbeiträge seien abzusetzen.
5 Der Kläger beantragt,
6 den Beschluss des LSG sowie das Urteil des SG abzuändern und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 16.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.7.2005 zu
verurteilen, ihm für die Zeit vom 1.7.2003 bis 31.12.2004 Grundsicherungsleistungen zu zahlen.
7 Die Beklagte beantragt,
8 die Revision zurückzuweisen.
9 Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Gründe
10 Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG
begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Ob dem Kläger für die Zeit vom 1.7.2003 bis zum 31.12.2004 Grundsicherungsleistungen zustehen,
kann nicht abschließend entschieden werden. Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen
(§ 163 SGG), die es dem Senat ermöglichen würden, Grund und Höhe eines Anspruchs auf
Grundsicherungsleistungen zu prüfen. Allerdings scheitert ein Anspruch des Klägers
auf Leistungen für die Zeit vor Oktober 2004 nicht bereits an einer fehlenden
Antragstellung.
11 Gegenstand der vom Senat zugelassenen Revision ist der Bescheid vom
16.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.7.2005, mit dem die Beklagte
Grundsicherungsleistungen für die Zeit vor dem 1.1.2005 abgelehnt hat. Bezogen auf den hier (noch)
streitigen Zeitraum bis zum 31.12.2004 beinhaltet die in dem weiteren Bescheid vom 15.3.2005 ua
enthaltene Aussage, dass Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für das
Jahr 2004 abgelehnt würden, keine eigenständige Regelung, sondern ist nur eine Wiederholung des
Verfügungssatzes (vgl dazu Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 31
RdNr 32 ), weil bereits mit Bewilligung der Leistung (erst) ab 1.1.2005 (Bescheid vom
16.2.2005) die Leistung für den vorangegangenen Zeitraum abgelehnt worden ist (vgl zB BSG SozR
4‑4300 § 144 Nr 4 S 14). Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage nach den §§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG.
12 Die Begründetheit der Revision misst sich an den Regelungen des GSiG, das als
Art 12 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung
eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 26.6.2001
(BGBl I 1310) beschlossen worden ist. Nach § 1 GSiG können
Personen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung mit
gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die das 65. Lebensjahr vollendet
haben (Nr 1) oder unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert
iS des § 43 Abs 2 SGB VI
– Gesetzliche Rentenversicherung – sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die
volle Erwerbsminderung behoben werden kann (Nr 2), auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung erhalten. Der Anspruch besteht
ua nur, soweit Leistungsberechtigte
ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen oder Vermögen beschaffen können
(§ 2 Abs 1 Satz 1 GSiG). Die Leistung wird in der Regel
für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.6. des Folgejahres bewilligt (§ 6
Satz 1 GSiG).
13 Einem Anspruch des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung steht nicht entgegen, dass der Kläger nach Ablauf des Bewilligungszeitraums
(1.1. – 30.6.2003) erst im Oktober 2004 ausdrücklich einen
(Folge‑)Antrag auf Weiterzahlung der Leistung gestellt hat. Weder war sein bereits am 4.12.2002
gestellter Antrag auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, noch ist in der befristeten
(bestandskräftigen) Bewilligung durch den Bescheid vom 27.2.2003 gleichzeitig als Kehrseite der
Bewilligung eine Leistungsablehnung für die Zeit ab 1.7.2003 zu sehen, so dass sich daraus die
Notwendigkeit eines neuen Antrags ergäbe. Auch der Fall der Aufhebung einer
Leistungsbewilligung, aus der die Notwendigkeit einer erneuten Antragstellung resultieren könnte,
liegt nicht vor.
14 Der Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften (§§ 1,
6 GSiG), deren Systematik und Entstehungsgeschichte sowie insbesondere der Sinn und
Zweck der Regelungen zur Antragstellung im GSiG zeigen, dass unter diesen Prämissen der einmal nach
§ 1 GSiG gestellte Antrag über den Bewilligungszeitraum hinaus fortwirkt und nicht
verbraucht ist. Nach § 1 GSiG sind die Leistungen der Grundsicherung zwar von einem
Antrag abhängig; dieses Antragserfordernis bringt jedoch lediglich zum Ausdruck, dass der
“Wechsel” von der Sozialhilfe zur Grundsicherung als einer besonders ausgestalteten Sozialhilfe
mit einem weitgehenden Ausschluss des Unterhaltsrückgriffs, nicht von Amts wegen erfolgen sollte
(BT‑Drucks 14/5150, S 49 zu § 1). Auch § 6 Satz 1 GSiG,
nach dem die Leistung in der Regel für den Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.6. des Folgejahres bewilligt
wird, begründet nach seinem Wortlaut lediglich die Ermächtigung und zugleich Verpflichtung der
Behörde zu einer Befristung der Bewilligung iS von § 32 Abs 1 SGB X, nicht
jedoch eine Begrenzung des Leistungsanspruchs mit einem hieraus abzuleitenden besonderen
“Mitwirkungserfordernis” in Form einer weiteren Antragstellung für Folgezeiträume
(zur vergleichbaren Situation bei der Arbeitslosenhilfe: BSGE 87, 262, 268 =
SozR 3‑4300 § 196 Nr 1 S 8; BSGE 68, 42, 44 = SozR 3‑4100 § 139a
Nr 1 S 3; BSGE 59, 227, 229 = SozR 4100 § 134 Nr 29 S 7).
15 Die weiteren Vorschriften zur Antragstellung in § 6 Satz 2 und
3 GSiG regeln ihrem Wortlaut nach nur den Beginn des Bewilligungszeitraums bei einer
erstmaligen Bewilligung oder bei einer Änderung der Verhältnisse zu Gunsten oder zu Lasten
des Grundsicherungsberechtigten im Laufe des Bewilligungszeitraums; besondere Anforderungen an die
Weiterbewilligung der Leistung der Grundsicherung für weitere Bewilligungszeiträume
können dieser Norm jedoch nicht entnommen werden (so zur inhaltsgleichen
Regelung in § 44 Abs 1 SGB XII im Ergebnis auch Wenzel in Fichtner/Wenzel,
SGB XII - Sozialhilfe mit Asylbewerberleistungsgesetz, 4. Aufl 2009, § 44
SGB XII RdNr 2; W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
SGB XII, 17. Aufl 2006, § 44 SGB XII RdNr 8; Schoch in Lehr- und
Praxiskommentar [LPK] SGB XII, 8. Aufl 2008, § 44 SGB XII
RdNr 10).
16 Soweit in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit zum GSiG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu den Regelungen im Wohngeldgesetz
(§§ 23, 27 Abs 1 WoGG idF bis zum 31.12.2008) die Ansicht
vertreten wird, dass nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ein neuer Antrag erforderlich sei
(vgl VGH München, Urteil vom 5.2.2004 – 12 BV 03.3282 –,
FEVS 55, 557, 563; zum Erfordernis eines gesonderten Antrags für jeden Bewilligungszeitraum im
Wohngeldrecht: BVerwGE 84, 278, 285; BVerwG, Urteil vom 2.5.1984
– 8 C 94/82 –, BVerwGE 69, 198, 201 juris RdNr 17), folgt
ihr der Senat nicht. Die Notwendigkeit von (Folge-) Anträgen für weitere Bewilligungszeiträume von
Sozialleistungen ist vor dem Hintergrund der den jeweiligen Gesetzen zugrundeliegenden
gesetzgeberischen Konzeption zu beantworten und erfordert eine funktionsdifferente
Betrachtung.
17 Im Recht der Grundsicherung spricht die in Ermangelung einer ausdrücklichen
gesetzlichen Regelung in den § § 1, 6 GSiG zur Notwendigkeit eines
Antragserfordernisses für Fortzahlungsbewilligungen zu berücksichtigende Systematik und
Entstehungsgeschichte der Vorschrift gerade gegen die Notwendigkeit eines Folgeantrags. Während der
Erstantrag auf Grundsicherungsleistungen als materiellrechtliche
Anspruchsvoraussetzung (vgl nur zur inhaltsgleichen Regelung in § 41
Abs 1 SGB XII: W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm,
SGB XII, 17. Aufl 2006, § 41 RdNr 20; Münder, SGB 2006, 186, 189)
eine umfassende Prüfung der Leistungsvoraussetzungen des § 1 GSiG, insbesondere des
Vorliegens einer dauerhaften Erwerbsminderung iS des § 43 Abs 2 SGB VI unter
Einschaltung des zuständigen Rentenversicherungsträgers erfordert (vgl
§ 5 GSiG, § 109a SGB VI), diesem Erstantrag also gewissermaßen eine
“Türöffnerfunktion” für den Systemwechsel von der Sozialhilfe zur Grundsicherung oder die Wahl
des Systems zukommt, ging der Gesetzgeber nach erstmaliger Bewilligung der
Grundsicherungsleistungen von weitgehend gleichbleibenden Verhältnissen aus. Da die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei dem Grundsicherungsberechtigten in der Regel für längere
Zeit unverändert bleiben, wollte der Gesetzgeber mit der Festlegung des einjährigen
Bewilligungszeitraums des § 6 Satz 1 GSiG nur den jährlichen Rentenanpassungen Rechnung
tragen und sah eine Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers nur bei der Meldung von Veränderungen
seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor
(BT‑Drucks 14/4595, S 30, 71).
18 Für die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrags nach Ablauf des
Bewilligungszeitraums lassen sich auch – als einzig denkbare Rechtfertigung – keine
Vereinfachungs- oder Praktikabilitätsgründe anführen. Die Beklagte, der die gesundheitlichen und
finanziellen Verhältnisse des Klägers bereits aufgrund der Bewilligung von
Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2003 bekannt waren, konnte wegen fehlender
Hinweise auf geänderte Einkommens- oder Vermögensverhältnisse nicht davon ausgehen, dass seine
Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach weggefallen sein konnte. Im Hinblick auf
§ 5 BSHG (Einsetzen der Sozialhilfe mit Kenntnis des zuständigen
Leistungsträgers) wäre sie als zuständiger Träger für Grundsicherungsleistungen und
für Sozialhilfe (§ 4 Abs 1 GSiG, § 96 BSHG)
– wie dies regelmäßig der Fall sein dürfte – deshalb auch ohne Antrag auf
Grundsicherungsleistungen von Amts wegen zur Prüfung verpflichtet gewesen, ob dem Kläger
nicht Sozialhilfeleistungen nach dem BSHG zu zahlen waren (vgl
allgemein: Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, S 62; vgl zur
Amtsermittlungspflicht insoweit: BSG SozR 4‑3500 § 18 Nr 1 RdNr 23).
Eine fehlende Antragstellung auf Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung lässt den gegenüber der Grundsicherung
nachrangigen Sozialhilfeanspruch nach dem hier noch anwendbaren BSHG nicht entfallen
(so wohl Gröschel-Gundermann in Linhart/Adolph/Gröschel‑Gundermann,
BSHG/AsylbLG/Grundsicherungsgesetz, § 1 GSiG RdNr 21,
Stand Juli 2004; Münder, SGB 2008, 186, 190; zum SGB XII Kreiner in Oestreicher,
§ 41 SGB XII RdNr 17, Stand Juni 2006; Mrozynski, Grundsicherung und
Sozialhilfe, III.10 RdNr 4, Stand Februar 2007; vgl nunmehr § 19 Abs 2
Satz 3 SGB XII).
19 Auch wenn demnach davon auszugehen ist, dass einem Anspruch
auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine fehlende Antragstellung
nicht entgegensteht, war dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt. Ausgehend von seinem
Rechtsstandpunkt hat das LSG ua keine Feststellungen zum Bedarf des Klägers (§ 3 GSiG ),
insbesondere zu den tatsächlich entstandenen Aufwendungen des Klägers für Unterkunft und Heizung
(§ 3 Abs 1 Nr 2 GSiG) getroffen. Wegen der in den Urteilen des SG und LSG
referierten widersprüchlichen Angaben des Klägers zu einem behaupteten mündlichen Untermietvertrag
mit seinem Vater über das “Zimmer im Dachgeschoss”, der hieraus resultierenden Höhe der
Mietbelastung sowie der in der Vergangenheit nur unregelmäßigen tatsächlichen Beteiligung des
Klägers an den Wohnkosten wird das LSG insbesondere Feststellungen dazu treffen müssen, ob und in
welcher Höhe dem Kläger durch Mietzinsforderungen seines Vaters auf der Grundlage eines vertraglich
vereinbarten Mietzinses tatsächlich Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 3
Abs 1 Nr 2 GSiG entstanden sind (vgl zu den Anforderungen bei einem Mietvertrag
zwischen Verwandten BSG, Urteile vom 7.5.2009 – B 14 AS 31/07 R – und
3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R – RdNr 24, zur Veröffentlichung in
SozR vorgesehen).
20 Es begegnet allerdings keinen Bedenken, dass das LSG von einem
Regelsatz von 80 vH eines Haushaltsvorstandes ausgegangen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1
GSiG iVm § 22 BSHG und § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG
[Regelsatzverordnung]). Insofern ist der Senat zunächst an die tatsächlichen Feststellungen
des LSG zum Vorliegen einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft des Klägers mit seinem Vater und
Bruder gebunden: auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum BSHG folgt
hieraus eine Zuordnung des Vaters des Klägers als Haushaltsvorstand und des Klägers als
Haushaltsangehörigen mit der Folge eines Regelsatzes in Höhe von 80 vH. Nach der
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist Haushaltsvorstand iS des § 3 Abs 1
Regelsatzverordnung – neben einem Alleinstehenden – derjenige, der die “Generalunkosten”, dh die
“zur allgemeinen Haushaltsführung” gehörenden Aufwendungen, trägt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965
– V B 152.65 –, FEVS 14, 241, 242; BSGE 99, 131 ff RdNr 16
= SozR 4‑3500 § 28 Nr 1).
21 Aus dem Urteil des Senats vom 19.5.2009
(B 8 SO 8/08 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) ergibt sich
für die Höhe des Regelsatzes in dem anhängigen Verfahren nichts anderes. Der Senat hat in dieser
Entscheidung die – gegenüber der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung –
einschränkende Auslegung der (mit der typisierenden Annahme einer Haushaltsersparnis verbundenen)
Begriffe des “Haushaltsvorstands” und “Haushaltsangehörigen” mit dem Systemwechsel durch das
Inkrafttreten des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003
(BGBl I 3022) und des Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für
Arbeitsuchende – (SGB II) durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) mit Wirkung zum 1.1.2005 begründet. Nach
Maßgabe des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) und zur Vermeidung von
Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII können Einsparungen bei
gemeinsamem Haushalt seither nur angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine
Bedarfsgemeinschaft iS des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft iS des § 19
Abs 1 SGB XII bilden (BSG, Urteil vom 19.5.2009
– B 8 SO 8/08 R – RdNr 17 ). Diese Gesichtspunkte einer
verfassungsrechtlich gebotenen Harmonisierung können für die hier streitige Zeit der alleinigen
Geltung des BSHG jedoch (noch) keine Geltung beanspruchen.
22 Das LSG wird auch genauer zu prüfen haben, ob und ggf in welchem
Umfang die von dem Kläger für private Versicherungen geltend gemachten Beiträge als Absetzbeträge
von seinem Renteneinkommen berücksichtigt werden können. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen
gelten nach § 3 Abs 2 GSiG die §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu erlassenen
Rechtsvorschriften entsprechend. Nach § 76 Abs 2 Nr 3 BSHG sind Beiträge zu
öffentlichen und privaten Versicherungen vom Einkommen abzusetzen, soweit diese Beiträge gesetzlich
vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals
“angemessen” in § 76 Abs 2 Nr 3 BSHG sind der Sinn und Zweck dieser Regelung zu
berücksichtigen und ist dem Umstand Rechnung zu tragen, ”dass (gerade) auch Bezieher geringer
Einkommen Risiken abzusichern pflegen, bei deren Eintritt ihre weitere Lebensführung außerordentlich
belastet wäre” (BVerwGE 116, 342, 344). Die “Angemessenheit” von privaten Versicherungen beurteilt
sich somit sowohl danach, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher
von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze solche Aufwendungen zu tätigen pflegen, als auch
nach der individuellen Lebenssituation des Hilfesuchenden (BVerwGE 116, 342, 344; BVerwGE 118, 211,
212 f; vgl demgegenüber zum Lebensstandardprinzip in der Alhi BSGE 94, 109 ff RdNr 16
= SozR 4‑4220 § 3 Nr 1).
23 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann das LSG die Übernahme
der von dem Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die private Kranken-, Rechtsschutz- und
Unfallversicherung nicht ohne Weiteres ablehnen, sondern wird ermitteln müssen, welche konkreten
Risiken des Klägers durch diese abgedeckt werden sollen und ob es sich um übliche Versicherungen
für Bezieher geringerer Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfe handelt. Dabei kann aus
Praktikabilitätsgründen eine Üblichkeit angenommen werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass
mehr als 50 % der Haushalte knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende
Versicherung abschließen (vgl zu diesem Gedanken bereits zur Alhi BSGE 94, 109 ff
RdNr 29 = SozR 4‑4220 § 3 Nr 1). Es können aber auch besondere Umstände des
Einzelfalls vorliegen, aufgrund derer die Beiträge für die privaten Versicherungen zu übernehmen
sind. So können zB insbesondere bei Empfängern von Grundsicherungsleistungen spezifische
gesundheitliche Verhältnisse eine private Krankenversicherung angemessen erscheinen lassen, auch
wenn im Grundsatz davon auszugehen ist, dass der in der Krankenversicherung der Rentner gesetzlich
krankenversicherte Kläger bereits einen auf die Risiken der Krankheit bezogenen, umfassenden
sozialversicherungsrechtlichen Schutz hat (Brühl in LPK‑SGB XII, 8. Aufl 2008,
§ 82 RdNr 66; Karmanski in Jahn, SGB XII, 2007, § 82 RdNr 33).
24 Bezogen auf die Übernahme der Beiträge zur Rechtsschutzversicherung
ist dem Bedürftigen regelmäßig entgegenzuhalten, dass die Möglichkeit der Beantragung von
Prozesskostenhilfe besteht (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII,
2. Aufl 2008, § 82 SGB XII RdNr 43; W. Schellhorn in
Schellhorn/Schellhorn/Hohm, 17. Aufl 2006, § 82 SGB XII
RdNr 41; Brühl in LPK‑SGB XII, 8. Aufl 2008, § 82 RdNr 66; Lücking in
Hauck/Noftz, SGB XII, K § 82 RdNr 56, Stand Dezember 2004).
Gleichwohl kann es im Einzelfall erforderlich sein, sich gegen bestimmte Kosten der gerichtlichen
Rechtsverfolgung abzusichern. Bei den geltend gemachten Versicherungsbeiträgen zur privaten
Unfallversicherung ist die Angemessenheit im Einzelfall zu beurteilen. Mögliche verspätete Angaben
des Klägers zur Unfallversicherung stehen jedenfalls dann einer einkommensmindernden
Berücksichtigung nicht entgegen, wenn der Grundsicherungsträger – wie hier – seiner
Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen ist. Schließlich wird das LSG bei der Frage der
Angemessenheit privater Versicherungsbeiträge auch auf den Gesamtbetrag der aufgewendeten
Versicherungen zu achten haben.
25 Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu
entscheiden haben.
Quelle:
https://openjur.de/u/169512.html