Bevor ich zum eigentlichen Thema komme, muss ich etwas anderes loswerden,
nämlich … dass ich als Kind viermal zur Kur war.
Wenn ein Kind nur »Haut + Knochen« ist, dann schickt man es zur KUR, damit es an der frischen See-
oder Bergluft APPETIT bekommt, viel isst und »was auf die Rippen kriegt«.
In meinem Fall war das vollkommen unnötig, weil ich IMMER APPETIT hatte. Allerdings nur auf
Kuchen, Eis und anderen Süßkram.
Es ist übrigens ein immer noch weit verbreiteter Irrglaube, dass Kinder vor
dem Essen keine Süßigkeiten essen sollten, weil sie dann angeblich keinen Appetit mehr auf die
eigentliche Mahlzeit hätten.
Keine Ahnung, wer solche Märchen in die Welt setzt.
Vielleicht waren es die Gebrüder Grimm, vielleicht auch ein Zahnarzt, der keine Lust darauf hatte,
seiner eigenen Brut die Löcher in den Zähnen zu zementieren. Genauso werden seit Jahrzehnten
Kinder immer noch damit gequält, SPINAT essen zu müssen, weil der angeblich »stark« macht. MUSKELN
machen stark! Und die bekommt man nicht vom Spinat, sondern von körperlichem Training.
Wenn ich den ganzen Tag nur am Schreibtisch hocke und auf der Computertastatur
rumkloppe, dann kriege ich keine dicken Oberarme – selbst wenn ich eimerweise Spinat in mich
reinschütte! Und so ähnlich ist das auch mit dem Süßkram vor dem Essen.
Viele Kinder wollen nicht frühstücken. Schon gar nicht »richtiges
Erwachsenen-Frühstück« mit Körnerbrötchen, Wurst, Käse und weichgekochten Eiern.
Auf KUCHEN haben die meisten Kinder Appetit. Das ist ein ganz natürlicher Instinkt, weil Süßes dem
Gehirn SCHNELL VERFÜGBARE ENERGIE signalisiert. Also gibt man dem Kind vor der eigentlichen Mahlzeit
ein Stück Kuchen oder anderen Süßkram, den es mag. Und anschließend isst es problemlos die »richtige
Mahlzeit«. Aber zurück zu meiner eigenen Kindheit.
Hätte mich meine Mutter mit KUCHEN statt WURST gemästet, dann hätte ich nicht viermal
zur Kur gemusst! Und jedes Mal kam ich noch dünner zurück. Von einer dieser Kuren gibts sogar
ein Foto. Da war ich 5 Jahre alt.
Aber ich erinnere mich nur an eine der vier Kuren, weil sie eine Besondere war. Da war ich 9,
Heimkind und das, was man »frühreif« nennt.
Wenn man mich ins Gebirge schickt und ich den ganzen Tag die Berge hoch- und
runterklettern muss, wie soll ich da was auf die Rippen kriegen?!
Da futtere ich mir 200 Gramm an und klettere mir anschließend im Gebirge 400 Gramm wieder
ab. Nach Adam Ries habe ich auf diese Weise innerhalb der 4-wöchigen Kur 6.000 Gramm
ABGENOMMEN!
Als mich meine Mutter nach solch einer Kur am Bus in Empfang nahm, wog mein Koffer mehr als ich!
Wenn ich zum Spielen rausging, musste ich mir die Hosentaschen mit Murmeln oder Steinen füllen,
damit ich nicht »vom Winde verweht« werde (den gleichnamigen Film habe ich nie gesehen, weil ich
ihn ja bereits aus eigenem Erleben zur Genüge kannte).
Und warum war das so? Dafür gab es 3 Gründe:
- Man schickte mich INS GEBIRGE.
Hast du schon mal einen dicken Bergsteiger gesehen? – Ich auch nicht. Wer in den Bergen rumklettert,
kann nicht fett werden!
- Ich war HYPERAKTIV, körperlich und geistig ein »Zappelphilipp«
(heute nennt man das ADHS).
Hast du schon mal einen dicken Zappelphilipp gesehen? – Ich auch nicht. Wer keine 10 Sekunden
Hände, Füße und Gedanken stillhalten kann, kann nicht fett werden!
- Ich war unsterblich VERLIEBT. Das erste Mal seit 9 Jahren!
Und wenn man »Schmetterlinge im Bauch« hat, dann passt da kein Essen rein.
Hast du schon mal einen dicken Hungerleider gesehen? – Ich auch nicht. Wer nichts isst, kann nicht
fett werden!
Meine Angebetete hieß GABI.
GABI saß beim Spielen, Basteln und Essen am Tisch mir gegenüber. Und zu allem Unglück wurde auch noch
jede halbe Stunde im Radio der aktuell angesagteste Schlager gespielt:
Für Gabi tu’ ich alles!
Ich schmachtete »meine Gabi« an und heulte alle 30 Minuten, wenn dieser Titel im Radio wiederholt
wurde, Rotz + Wasser! Weil sie mir so nah und doch auch unerreichbar fern war.
Ich durfte GABI nur aus der Ferne anhimmeln. Beim Mittagsschlaf mussten wir in
getrennten Betten schlafen (an Schlaf war da meinerseits nicht mal zu denken!). Und nachts schliefen
wir sogar in getrennten Schlafräumen!
Damals war die seelische Folter noch nicht abgeschafft. Das kam erst Jahrzehnte später
mit der Ratifizierung der
UN-Kinderrechtskonvention).
Alle 30 Minuten – eigentlich unaufhörlich – ging mir durch den Kopf, was ich
alles für »meine Gabi« tun würde:
Ich würde mich vom höchsten Gipfel des Thüringer Waldes in die Ostsee stürzen!
Dass die Ostsee mehrere Hundert Kilometer entfernt am anderen Ende der DDR lag,
verdeutlicht recht anschaulich meine riesige Opferbereitschaft.
Für Gabi würde ich stundenlang die Luft anhalten!
Ich kann stundenlang reden, ohne Luft zu holen (jedenfalls behaupten das meine
Mitmenschen hartnäckig). Da dürfte es mir wohl nicht schwerfallen, das für Gabi zu tun!
Ich glaube, dass ich es für Gabi sogar schaffen würde, mal eine Minute lang zu
schweigen!
Man sagt mir zwar nach, dass mein Mund nicht 1 Minute lang stillsteht und
man ihn, wenn ich gestorben bin, extra totschlagen oder zukleben muss, damit meine Nachbarn in Ruhe
dahinfaulen können, und ich halte das durchaus für realistisch. Aber für Gabi würde ich es auf mich
nehmen, mal 60 Sekunden lang nichts zu sagen!
Für Gabi würde ich sogar zum Grund des Meeres tauchen und ihr die schönsten Perlen
raufholen!
Als Nichtschwimmer wäre ich fürs ewige Tauchen geradezu prädestiniert
wie geschaffen!
Eigentlich war ich Jahrzehnte lang dauer-verliebt!
Und jedes Mal steigerte ich mich mehr hinein, war verliebter als je zuvor. Immer dachte ich: Das ist
nun die wahre große Liebe, von der Dichter und Denker schreiben.
Mitmenschen, die das miterlebten, sagten jedes Mal: Das ist nicht normal! Das glaubt
kein Mensch, der das nicht selbst miterlebt! Romeo & Julia sind dagegen ein Scheißdreck!
Ja, ich bin in allem EXTREM, treibe alles auf die Spitze. Ich weiß das selber, kann es aber nicht
ändern, weil ich eben so bin wie ich bin.
Meine Verliebtheit hielt immer nur solange, bis ich »am Ziel meiner Wünsche« war,
das Mädchen also bereit war, sich mir hinzugeben. Im selben Augenblick wurde es für mich
»uninteressant« – und ich wandte mich einem anderen Mädchen zu … bis auch das schwach wurde und ich
mich der Nächsten widmete.
Wahrscheinlich ging es mir dabei gar nicht um die Mädchen an sich, sondern um
den herrlichen Zustand des Verliebtseins.
Und es war dieses herrliche Gefühl, wie wenn man Weihnachten auf die Geschenke wartet (bekanntlich
ist VOTFREUDE die schönste Freude). Wenn sie dann ausgepackt vor einem liegen, ist das Schönste an
Weihnachten eigentlich vorbei.
Meine erste »große Liebe« war GABI. Und meine erste »richtige Freundin« war RENATE.
Renate und ich waren beide kurz vor sechs. Da wir keine UHREN waren, will ich es anders ausdrücken:
Wir waren kurz vor der Einschulung. Von uns beiden gibts ebenfalls
ein Foto.
Unsere Mütter waren Freundinnen und hingen ständig zusammen, sodass ich fast meine gesamte
Freizeit mit Renate verbrachte. Weil ich gleichzeitig eine 12-jährige Spielkameradin (Gespielin)
hatte, die mich bei Doktor-Spielen in die Geheimnisse und Wonnen körperlicher Freuden einweihte,
war ich in der glücklichen Lage, das mit ihr Erlernte sofort freudig mit meiner Freundin teilen zu
können. Wenn wir uns aus Stöckern und Decken eine »Höhle« auf dem Hof
zauberten, dann ahnten unsere Mütter nicht, was wir darin trieben. Meine Mutter wusste und
behauptete zwar, dass ich »frühreif« bin, glaubte aber, dass das reine Theorie sei … Ich ließ ihr
ihren Glauben. Meine Oma zum Beispiel glaubte an GOTT, eine Nachbarin an Hexen und böse Flüche. Und
ich selber glaubte, dass alle Erwachsenen auf irgendeine Weise verrückt im Kopf sind.
Jedenfalls wusste ich schon sehr früh, dass Mädchen und Jungs für einander wie geschaffen sind.
Sie passten zusammen wie Steckdosen und Stecker!
Schon damals legte ich mich betreffs meines späteren Berufes fest: Entweder werde
ich FRAUENARZT oder ELEKTRIKER. Auf jeden Fall musste es was mit Steckern und Steckdosen sein!
Im Kinderheim schloss ich dann den FRAUENARZT aus, weil ich nachts unsere alte
Hauswirtschaftsleiterin nackt in der Badewanne stehen sah, als ich eigentlich aufs Klo wollte (wir
Jungs hatten unsere Pinkelbecken im Erdgeschoss, die Schlafräume aber oben, sodass wir eigentlich
lieber die Mädchen-Klos im oberen Stockwerk benutzten, zumal wir dort manchmal sogar das Glück
hatten, eines der Mädchen anzutreffen 😜).
Das Bild der Oma in der Wanne verfolgt mich seit Jahrzehnten wie ein tollwütiger
Fuchs durch schlaflose Nächte … Bis dahin kannte ich nur flachbrüstige, schamhaarlose Mädchen.
Dass weibliche Brüste zu meterlangen leeren Schläuchen und Flaumhaar zu einem wild wuchernden
Gebüsch werden können, war jenseits meiner Vorstellungskraft.
Warum ich mit sieben ins Kinderheim kam, will ich auch kurz erzählen: Weil es mir
bis dahin nicht gelungen war, Mutter, Großmutter, Kindergärtnerinnen, Grundschullehrerinnen, die
Nachbarn, das Jugendamt und die gesamte Einwohnerschaft von Luckau zu umgänglichen, toleranten,
kinderfreundlichen Mitmenschen zu erziehen. Im Heim kamen dann noch 41 Kinder sowie diverse
Erzieherinnen und weitere Lehrer hinzu. So darf ich sagen, dass ich den Großteil meiner Kindheit
damit verbrachte, verbringen MUSSTE, meine Artgenossen meinen Vorstellungen von paradiesischen
Zuständen anzupassen. Dass das keine leichte Aufgabe war, lässt sich unschwer denken. Immerhin
fehlten mir damals einige Jahrzehnte Lebenserfahrung und einige Semester Psychologie-Studium … Das
machte ich aber mit Durchsetzungsvermögen und Beharrlichkeit halbwegs wett.
Wenn etwas nicht meinen Wünschen und Vorstellungen von einer friedlichen Welt
entsprach oder sogar gegen meinen Willen war, dann »drehte ich durch«. DURCHDREHEN ist ein
empfehlenswertes Mittel, das meist zum Ziel der eigenen Wünsche und vor allem zur körperlichen
Integrität führt. Obwohl damals die Prügelstrafe noch nicht abgeschafft und ein Hauptargument der
Erwachsenen war, Kindern ihren Willen aufzuzwingen, sah man mir gegenüber von dieser
Erziehungsmethode ab, weil ich jedem Erwachsenen klar zu verstehen gab, dass ich ihn umbringen
werde, wenn er mich anfasst! Ich hatte schon als 5-Jähriger keine Hemmungen, Mutter und
Großmutter mit einem Fleischermesser »auf Abstand« zu halten, hatte in Kindergarten und Grundschule
Gleichaltrigen ganz erhebliche Verletzungen zugefügt.
Einem Jungen hatte ich einen Stein an den Kopf geworfen, und er wäre an Ort
und Stelle verblutet, wenn das nicht in der Nähe des Krankenhauses geschehen wäre und ein beherzter
Mitbürger ihn sofort dorthin geschafft hätte. Diese »Tat« war ein reiner UNFALL, denn wir hatten
eine »Steinschlacht« gemacht, bei der er das Pech hatte, dass ich besser zielen konnte. Außerdem
hatte er eine Garage hinter sich, sodass ich keine Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen musste,
während ich eine Straße im Hintergrund hatte, die meinen Kumpel dran hinderte, kräftig nach mir zu
werfen. Diesbezüglich hatte ich also trotz »Waffengleichheit« einen taktischen Vorteil.
Anderenfalls hätte ich mich auf diesen Zweikampf nicht eingelassen.
Dieser Junge hatte einfach nur Pech. Aber sowas spricht sich rum im Kiez und schützt
vor Übergriffen jeder Art! Wer legt sich schon mit einem Durchdreher an, der »über Leichen geht«?!
😉
Dieses Ereignis brachte dann wohl »das Fass zum Überlaufen« und führte zu meiner Heim-Einweisung.
Rein PÄDAGOGISCH brachte diese Maßnahme gar nichts, weil ich die Gabe besitze, »meine Umgebung mir
anzupassen« (was man fälschlich verkannte und annahm, ICH wäre anpassungsfähig).
So hatten wir eine sehr strenge Erzieherin, die wir »Tante Elisabeth« nannten.
Und die hatte die schreckliche Angewohnheit, uns Kinder mit kleinen körperlichen Misshandlungen zu
maßregeln. So packte sie ein Kind zum Beispiel mit zwei Fingern unters Kinn und zog ihm schmerzhaft
die Haut straff (obwohl wir bis dahin völlig faltenfrei waren und keinerlei Gesichtshautstraffung
bedurften). Oder sie zog einem so kräftig am Ohrläppchen, dass es einriss. Wir hatten ständig
eingerissene und blutende Ohrläppchen. Da ich bis zu einer gewissen Grenze ein geduldiger Mensch
bin und mir einiges gefallen lasse, hatte ich eines unschönen Tages die Schnauze voll und sagte
dieser Hexe, wenn sie mich noch ein einziges Mal anfasst, dann komme ich nachts in ihr Zimmer und
schneide ihr die Kehle durch.
Sie hatte ein Zimmer auf dem Dachboden, das sie nachts auch nicht verschloss,
damit sie im Notfall schnell zur Stelle sein konnte.
Es war zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass ich einen derartigen körperlichen
Eingriff an ihr vorgenommen hätte, weil ich das für barbarisch und verachtenswert halte – ich hätte
sie stattdessen lieber mit einem Knüppel, Stein oder Feuerlöscher erschlagen oder die steile Treppe
runtergestoßen. Aber das konnte sie ja nicht wissen. Außerdem wäre diese Behandlung am Ende aufs
Selbe hinausgelaufen …
Auf jeden Fall nahm sie diese Ansage spätestens ernst, nachdem sie mich nachts auf den Boden
gesperrt hatte. Sie hielt das für eine gute Alternative zur körperlichen Misshandlung. ICH ABER
NICHT!
Dazu muss man wissen, dass das Heim in einem
alten Gutsherrenschloss
untergebracht war, das einem Kind nachts sowieso schon wohlige Grusel-Schauer über den Rücken
jagte, wenn man z.B. das heimelige Bett verlassen und aufs Klo musste.
Auf dem Dachboden eines alten Gutsherrenschlosses ist es schon tagsüber gruselig.
Nachts kommt aber noch die Finsternis hinzu, das laute Ticken einer riesigen Uhr (ähnlich einer
Kirchturmuhr) sowie unzählige FLEDERMÄUSE! Nun wusste ja jedes Kind, zumindest jedes Dorf-Kind
und speziell jedes Heim-Kind, dass Fledermäuse die Unart haben, sich im Kopfhaar festzukrallen und
einem das Blut auszusaugen! Ob das stimmte, wollte ich nicht am eigenen Leib erfahren. Darum dachte
ich mir, »Angriff ist die beste Verteidigung!« und sprühte den riesigen
Feuerlöscher leer, der dort oben angebracht war. Keine Fledermaus kann sich in einem Raum
orientieren, der mit weißem Löschpulver vernebelt ist! Und der bösartigen Erzieherin erteilte
ich auch noch eine Lektion, indem ich das Treppengeländer (Handlauf) abriss, ohne das ein Aufstieg
die steile Treppe hinauf nahezu unmöglich war. Ich muss einen Schalk im Nacken gehabt haben, als
ich das Treppengeländer wieder lose auf seine Halterung auflegte, sodass die Hexe erst zu spät
merkte, dass es lose war, als sie sich daran festhalten wollte und fast die Treppe hinabgestürzt
wäre. Das war mein letzter Streich, den ich ihr spielen musste. Fortan war sie mir gegenüber
lammfromm, spielte sich sogar als fürsorgliche »Mutter« auf, indem ich das Privileg hatte,
nachmittags oben in ihrem Zimmer meine Hausaufgaben zu machen (deshalb wurde ich fast sowas wie ein
mustergültiger Schüler). Allerdings verlor ich bald die Lust daran, wie ein Kleinkind verhätschelt
und bemuttert zu werden. Ich war schließlich 7 Jahre lang ganz gut ohne Mutter, Großmutter und
andere Fürsorge durchs Leben gekommen.
Mein »Anschlag auf Tante Elisabeth« hatte für mich die erfreuliche Folge, dass man
es vorzog, mich nicht zu bestrafen, weil es unkalkulierbar war, welche Folgeschäden meine Bestrafung
nach sich ziehen würde. Und das blieb so den Rest meines weiteren Lebens! Ich kann eben nicht
nur extrem liebevoll sein, sondern auch extrem sensibel, penibel, gerechtigkeitsliebend,
nachtragend, rachsüchtig … Das geht z.B. so weit, dass ich wegen eines einzigen falschen Wortes
einen Mitmenschen, auch nahe Angehörige lebenslänglich ignoriere. Und wenn ich ihn ignoriere, hat
dieser Mensch auch noch großes Glück gehabt, denn es hätte sehr viel schlimmer für ihn kommen
können! 😉
Der Tag, als meine Mutter ihr Fahrrad sattelte und mich im Kinderheim ablieferte, war für mich
aber weniger unerfreulich als zunächst angenommen. Denn als wir dort in der Mittagszeit ankamen,
machten die Kinder gerade Mittagsschlaf. Und weil man für mich noch gar kein freies Bett hatte,
stopfte man mich kurzerhand zu einer Gleichaltrigen, von der man wahrscheinlich annahm, dass sie
das klaglos dulden würde. Das tat sie dann auch. Allerdings hatte man keine Vorstellung von
meiner »Verderbtheit«, denn kaum hatte die Erzieherin, die uns beaufsichtigte, bis alle
eingeschlafen waren, den Raum verlassen, zeigte ich der unbekannten Beischläferin, welch enormes
Wissen ich bezüglich Steckdosen und Steckern hatte … So wurde meine »Einführung« ins Kinderheim
gar nicht so unerfreulich. 😛
Wenig später fühlte sich eine MONIKA dazu berufen, »mir den Marsch zu blasen« oder »die Flötentöne
beizubringen«, obwohl sie gänzlich unmusikalisch war und nicht die geringste Ahnung von Tuten +
Blasen hatte! Denn kein normaler Mensch beißt in das Blasinstrument, das er spielt!
Monika tat aber genau dies! Ich hielt mir den Stecker und schrie aus Leibeskräften das Heim zusammen!
Ob aus Schmerz oder Schreck, kann ich heute nicht sagen, aber auf keinen Fall hatte ich mit einem
deratigen Ausgang dieser Geschichte gerechnet.
Sogleich lief die Heimleiterin herbei, die nebenan ihr Zimmer hatte. Brüllend klagte ich Monika
an, mich gebissen zu haben. WOHIN, musste ich nicht erklären, ich hielt mir ja unübersehbar den
schmerzenden Stecker. Monika musste den Rest der Nacht auf der Couch schlafen, die für solche
Fälle im Flur stand. Und am nächsten Tag war sie verschwunden (nicht die Couch, sondern Monika)!
Wahrscheinlich war sie in ein anderes Heim gebracht worden, womöglich in ein TIERHEIM, zu ihren
Artgenossen wie beißenden Löwen und reißenden Krokodilen.
Dieses Erlebnis brachte mich zu der Erkenntnis, dass es ratsam ist, vorsichtig mit
Steckern und Steckdosen umzugehen! Nicht grundlos hatten mir Mutter und Großmutter gepredigt:
Messer, Gabel, Schere, LICHT sind für kleine Kinder nicht! Mit LICHT war
natürlich STROM gemeint, also auch Stecker und Steckdosen.
Das erfuhr ich als 11-Jähriger, als ich mit einem Schraubendreher im
Sicherungskasten herumfuhrwerkte und einen elektrischen Schlag bekam, dass ich dachte, jemand hätte
mir mit einem Hammer auf den Musikantenknochen gehauen. Der Schraubendreher flog im hohen Bogen weg
– und ich habe den nie wiedergefunden. Wahrscheinlich hätte ich nicht barfuß sein sollen,
als ich im Sicherungskasten zugange war, denn in den Folgejahren verliefen alle elektrischen Schläge
weniger schmerzhaft.
Weniger schmerzhaft waren auch die Schläge der Mädchen, wenn man ihnen ungefragt an
die Steckdose ging. Das haben wir Jungs aber ziemlich schnell begriffen und deshalb immer vorher
artig gefragt: Wollen wir ficken? Das fragten wir aber nie derart direkt und
vulgär, sondern mit einer Geste, die nur wir Kinder kannten. Wenn das Mädchen diese Geste
wiederholte, dann wusste man als Junge, dass man sich nun gemeinsam unter den Tisch, hinter den
Kachelofen oder ins Gebüsch begab.
Unsere Kindertische waren niedrig, und lange Tischdecken schützen vor den
Blicken neugieriger Erzieherinnen. Der Kachelofen stand diagonal vor einer Zimmerecke, und nur wir
Kinder passten dahinter. Und Gebüsche gab es auf dem Heim-Gelände mehr als genug. Außerdem gingen
wir im angrenzenden Wald oft in die Pilze, pflückten Blaubeeren, machten Schnitzeljagden oder
einfach nur Spaziergänge. Auch unser vier Kilometer langer Schulweg führte durch einen Wald. Es gab
also unzählige Gelegenheiten, uns in die Büsche zu schlagen. 😉
13.03.2020
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