01. EinleitungTageseinrichtungen für Kinder haben heute viele Aufgaben zu leisten, die früher
primär dem Elternhaus vorbehalten waren. Dabei ist die Vermittlung von Risikokompetenz, d.h. die Fähigkeit und Bereitschaft
Gefahren zu erkennen, zu bewältigen und möglichst zu beseitigen, um dadurch neue Sicherheit zu
erlangen, von besonderer Bedeutung. Hohe Unfallzahlen im Kindesalter lassen einen deutlichen Handlungsbedarf erkennen.
Der Förderung der Sicherheit von Kindern und Jugendlichen kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Diese Broschüre wendet sich besonders an Erzieherinnen und Erzieher, die Kinder im
Alter von drei bis sechs Jahren betreuen, also im Bereich "Kindergarten" tätig sind. Sie
stellt nach einem kurzen Überblick über das Unfallgeschehen in Kindergärten sowohl die Grundlagen
der körperlichen Entwicklung als auch die entwicklungspsychologischen Grundlagen in der
Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen und ihre Bedeutung für die Sicherheitsförderung dar. Die Ausführungen werden durch Spielvorschläge (vor allem im Bereich Bewegung) und praktische Beispiele ergänzt, die im Kindergartenalltag einfach umzusetzen sind. Diese Broschüre versteht sich als praktischer Leitfaden für Erzieherinnen und interessierte Eltern – nicht als eine wissenschaftliche Publikation. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde daher auf Quellenangaben im Text weitgehend verzichtet. Einige Literaturempfehlungen⮧ finden sich gleichwohl im letzten Abschnitt. Aus Platzgründen wird im Text durchgehend von Erzieherinnen gesprochen, da diese den weitaus größten Teil des pädagogischen Personals der Kindergärten stellen. Erzieher sowie andere Berufsgruppen, die in Kindergärten pädagogisch arbeiten, sind hier selbstverständlich ebenfalls angesprochen. Es ist zu hoffen, dass diese Publikation dazu beiträgt, in den Kitas die Sicherheitsförderung noch stärker zu verankern und dadurch Unfälle zu verhüten. |
03. Körperliche Entwicklung der Kinder zwischen drei und sechs Jahren und ihre Bedeutung für die Sicherheitserziehung
Die beschriebene Situation wird dadurch verschärft, dass Gleichaltrige als potenzielle und für viele Bewegungsspiele notwendige Spielgefährten im näheren Wohnumfeld häufig nicht vorhanden sind. Das Angebot an bewegungsarmen Spielen sowie Medien nimmt im Gegenzug permanent zu und wird von den Kindern auch genutzt: So sind tägliche Fernseh- und Videozeiten von mehreren Stunden bereits bei Vorschulkindern keine Seltenheit. Es verwundert daher nicht, dass sich die tägliche Bewegungszeit der Kinder in den letzten 20 Jahren halbierte. Diese Situation muss bei der Förderung der motorischen und sensorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten berücksichtigt werden. Sie dokumentiert aber auch die Notwendigkeit dieser Förderung. Aus diesem Grund werden nachfolgend der Entwicklungsverlauf im Bereich der Motorik sowie praxisgerechte Förderungsmöglichkeiten aufgezeigt. 03a. Gestaltwandel und Entwicklung körperlicher FähigkeitenIn der Zeit zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr durchlaufen die Kinder ihren ersten Gestaltwandel. Ihre Figur entwickelt sich dabei von der so genannten Kleinkindform zur Schulkindform, die bis zur Pubertät erhalten bleibt. Nicht alle Kinder machen den Gestaltwandel im gleichen Alter durch: Bei Frühentwicklern beginnt er bereits vor dem dritten Lebensjahr; extreme Spätentwickler haben ihn hingegen mit sechs Jahren noch vor sich. Bei den meisten Kindern findet er aber im Kindergartenalter statt. Die Körperform bestimmt stark die motorischen Möglichkeiten der Kinder. Aus diesem Grund soll hier zunächst die Kleinkindform dargestellt werden:
Im Gestaltwandel ändert sich diese Form stark: Die Kinder in der Schulkindform haben relativ längere Arme und Beine und einen relativ kleineren Kopf und Rumpf. Die Muskulatur nimmt stark zu und beginnt nun, die äußere Form des Kindes zu bestimmen. Gleichzeitig geht der Anteil der Fettpolster stark zurück – die Kinder wirken häufig sehr schlank. Auch der Rumpf ändert dadurch seine Form. So verkleinert sich der Bauch und steht nicht mehr so weit hervor. Außerdem sind nun Taille und Brustkorb zu erkennen. Generell erfolgt die motorische Entwicklung der Kinder in zwei Phasen: Zuerst bildet sich die Grobmotorik, dann die Feinmotorik heraus. Zu den grobmotorischen Fähigkeiten, die sich primär in den ersten vier Lebensjahren entwickeln, zählt neben dem Gehen, Laufen oder Springen auch das Schwimmen. Ab dem fünften Lebensjahr beginnt die Entwicklung der feinmotorischenFähigkeiten wie Greifen, Werfen, Ballfangen, Basteln und Schreiben. Eine normale Entwicklung der Grobmotorik ist Voraussetzung für die Ausbildung der Feinmotorik. Übungen zur Förderung der verschiedenen Arten der Motorik sollten also bei jüngeren Kindern schwerpunktmäßig die Grobmotorik, danach erst die Feinmotorik behandeln. Wie oben bereits erwähnt, sind alle angegebenen Altersnormen nur Anhaltswerte. Gerade die körperliche Entwicklung verläuft unterschiedlich schnell und in verschiedener Ausprägung. Dies muss bei allen Maßnahmen zur Förderung körperlicher Fähigkeiten beachtet werden. Sicherheitserziehung hat zum Ziel, die Kinder zu befähigen, adäquat mit den Gefahren des Alltags umzugehen. Zur Vermeidung von Kindergartenunfällen sowie zur Bewältigung der Gefahren des Straßenverkehrs kann eine Förderung der körperlichen Leistungsfähigkeit entscheidend beitragen. Außerdem erwerben die Kinder dadurch Grundlagen für spätere körperliche Anforderungen – z.B. beim Schulsport. Im folgenden Abschnitt sollen einige Förderungsmöglichkeiten vorgestellt werden. 03b. Möglichkeiten der Förderung körperlicher FähigkeitenEine Förderung der körperlichen Fähigkeiten hängt von zwei Komponenten ab. Zunächst
muss der Organismus weit genug entwickelt sein, um von den Maßnahmen profitieren zu können. Die eigentliche Entwicklung der Fähigkeiten wird durch gezielte Belastung des Organismus erreicht. So führen etwa genügend große und genügend häufige Belastungen der Armmuskulatur dazu, dass diese verstärkt wird. Mit der Stärkung der Muskeln ist dann ein Zuwachs an Armkraft und damit indirekt eine Verbesserung der Bewegungsfähigkeit, zum Beispiel beim Klettern, verbunden. Das Gleiche gilt auch für die anderen Bereiche. Insbesondere die koordinativen Fähigkeiten profitieren auch physiologisch von jeder Übung, da sich Verbindungen zwischen Nervenbahnen erst in der Praxis bilden bzw. erweitern. Eine Förderung ist nur dann erfolgreich, wenn die Belastung lange genug erfolgt. Da aber die Bereitschaft der Kinder, gleiche Bewegungen lange auszuführen, stark von ihrer Motivation abhängt, ist es sinnvoll, alle derartigen Übungen in Spielhandlungen einzubauen. Diese haben darüber hinaus den Vorteil, dass auch das Engagement der Kinder größer ist und sie ihnen mehr Spaß machen als »reine Konditionsübungen«. Natürlich sollten die Übungen nicht so lange dauern, dass sie zu einer Überlastung der Kinder führen. Durch Überlastungen wird der Übungserfolg in Frage gestellt, zudem führen sie zu einer erhöhten Unfallwahrscheinlichkeit. Abhilfe bringen hier genügend Pausen sowie Beachtung der individuellen Leistungsgrenzen jedes Kindes. Die Ausscheidungsspiele (z.B. »Reise nach Jerusalem«) weisen im Übrigen für die
obigen Zwecke die größten Probleme auf. Die körperlich am wenigsten entwickelten Kinder
benötigen eine Förderung in besonderem Maße. In den üblichen altersgemischten Gruppen scheiden
diese Kinder bei Ausscheidungsspielen in der Regel als Erste aus. Während bei den stärkeren Kindern
die Motorik weiter gefördert wird, müssen die schwächeren Kinder zusehen, was auch zu psychischen
Belastungen führen kann. Dies gilt nicht unbedingt für
Wettbewerbsspiele allgemein, bei denen alle Kinder die gleichen Aufgaben erhalten. Bei motorisch
gut entwickelten Kindern kann ein Wettbewerb das Interesse am Spiel durchaus erhöhen. Zu bedenken
ist allerdings, dass die psychischen Belastungen der »ewigen Verlierer« auch hier auftreten. Zur praktischen Arbeit in der Einrichtung sind nun einige motorische Fähigkeiten sowie Bewegungsabläufe aufgeführt, deren Förderung zur Vermeidung von Unfällen im Kindergarten beitragen könnte. Zur Förderung der dargestellten körperlichen Fähigkeiten sind anschließend entsprechende Übungen (mit dem optimalen Förderungsalter) aufgeführt. Die Einbettung dieser Übungen in Spiele sollte dann durch die Erzieherinnen in den Kindergärten erfolgen.
Ausreichende Kraft ist generell eine wichtige Voraussetzung für nahezu alle körperlichen
Aktivitäten. Eine Förderung der Muskulatur im Arm-, Bein- und Rumpfbereich sollte möglichst früh
(mit etwa drei Jahren) begonnen werden. Dies ist besonders wegen des ungünstigen Körperbaus vor dem
ersten Gestaltwandel bedeutsam, der zu vielen instabilen Bewegungen führt. … Hand- und Armbeugemuskulatur können durch alle Spiele gefördert werden, in denen die Kinder entweder an etwas ziehen müssen oder in denen sie sich selbst (z.B. auf einer Turnbank entlang) ziehen müssen. … Die Armstreckmuskulatur wird durch alle Spiele gefördert, bei denen etwas wegzuschieben ist (z.B. Kindergruppen gegeneinander). Eine andere Möglichkeit ist das Laufen auf allen Vieren. … Durch Laufspiele oder alle Spiele, in denen sich die Kinder hüpfend fortbewegen (auf einem oder zwei Beinen), werden die Beinstreckmuskeln gekräftigt.
Eine Förderung der Reaktionsschnelligkeit wird vor allem durch Spiele erreicht, bei denen auf ein bestimmtes Zeichen hin unmittelbar eine Handlung folgen muss. Bei älteren Kindergartenkindern sollten die Zeichen unterschiedlich und die Situationen komplex sein. So kann zum Beispiel durch verschiedenfarbige Tücher, die hochgehalten werden, eine Ampel simuliert werden. Bei jeder Farbe ist eine andere Reaktion der Kinder gewünscht. Mit solchen Spielen können nebenbei auch noch Farben und Formen erlernt werden.
Tabelle über wichtige körperliche Voraussetzungen und über Förderungsmöglichkeiten
03c. Beispiele für den Einsatz von Spielen zur Förderung körperlicher Fähigkeiten in einem KindergartenUm zu demonstrieren, wie eine Förderung der psychomotorischen Fähigkeiten in der Praxis aussehen kann, soll nun als Beispiel der Einsatz von Spielen zur Förderung von Gleichgewicht, Geschicklichkeit, Bewegungssteuerung und anderen Fähigkeiten vorgestellt werden. Die Bewegungsspiele wurden hier in einem Kindergarten eingesetzt, sie sind in abgewandelter Form aber auch in Sportvereinen oder im Elternhaus möglich.
Das obige Beispiel ist sicherlich nicht überall in dieser Form durchführbar. Jede Erzieherin oder jedes Elternteil kann aber Spiele so auswählen, dass sie den Kindern Spaß machen und zusätzlich gezielt motorische Fähigkeiten fördern. |
04. Entwicklungspsychologische Grundlagen der Sicherheitserziehung04a. DenkenDie Berücksichtigung der kindlichen Denkstrukturen gehört zu den wichtigsten Grundlagen jeder Erziehung. Gerade im Kindergartenalter sind diese einer sehr starken Entwicklung unterworfen. Bei den jüngeren Kindergartenkindern findet man dabei Strukturen, die das Verständnis von Sachverhalten erschweren können, trotzdem aber einen starken Einfluss auf das konkrete Verhalten haben. Auf diese soll im nun folgenden Abschnitt eingegangen werden. Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget⮧, von dem die bisher umfassendste Theorie über die Entwicklung kognitiver Strukturen bei Kindern stammt, unterteilt diese in vier Stadien. Im Alter zwischen drei und sechs Jahren durchlaufen die Kinder zwei dieser Entwicklungsstadien: Auch wenn die Altersnormen nicht bei allen Kindern auf das Jahr genau stimmen (es handelt sich hier um Mittelwerte, von denen Spät- und Frühentwickler deutlich abweichen können), so macht doch jedes Kind im Laufe seiner Entwicklung diese Stadien durch. Einige Denkstrukturen, die bei Kindern während des präoperationalen Stadiums auftreten, können Maßnahmen zur Sicherheitserziehung erschweren. Diese alterstypischen Denkstrukturen sollen im Folgenden näher behandelt werden: EgozentrismusKinder im präoperationalen Stadium sind im kognitiven Bereich – im Gegensatz zum emotionalen Bereich – unfähig, sich in andere Personen hineinzuversetzen. Sie glauben, ihre Sichtweise der Welt sei die einzig mögliche. Dies wird durch das nachstehende Beispiel aus dem Wahrnehmungsbereich deutlich. Egozentrismus macht sich im Übrigen auch im kommunikativen Bereich bemerkbar. So kann sich ein Kind nicht vorstellen, dass andere Personen etwas nicht verstehen, was es selbst gesagt hat. Es wird daher weder etwas erläutern noch nachfragen, ob die Information vollständig beim Gesprächspartner angekommen ist.
Beschränkung auf nur einen Aspekt des HandlungsfeldesKinder im Alter von drei und vier Jahren können nur einen Aspekt einer Situation
beachten. Alle anderen Aspekte werden zunächst ignoriert. Natürlich kann der beachtete Aspekt
wechseln. Nicht möglich ist den Kindern im präoperationalen Entwicklungsstadium aber die
gleichzeitige Berücksichtigung aller Handlungsaspekte.
Bildhaftes Denken
Flexibilität des Denkens (Transferfähigkeit)Das Denken der Kinder in diesem Stadium ist noch relativ wenig flexibel. Ein Transfer von Wissen, das in einer Situation erworben wurde, auf eine neue Situation ist vielfach nicht möglich. Dieser Transfer würde das Erkennen von abstrakten, informationsunabhängigen Prinzipien voraussetzen. Diese Unbeweglichkeit des Denkens gilt auch für sprachliche Informationen. Kinder merken sich zum Beispiel Märchen oder Geschichten ganz genau. Ein Abweichen von einem einmal vorgegebenen Text wird sofort korrigiert. Im Alter von fünf Jahren beginnt der Übergang in das konkretoperatorische Entwicklungsstadium. Die Kinder beginnen hier, die oben genannten Denkstrukturen zu überwinden. Das Denken wird flexibler, es kann mehr als ein Aspekt einer Handlung beachtet werden, und es ist den Kindern auch möglich, Dinge aus anderen Blickwinkeln als dem Eigenen zu betrachten. Das Denken in Bildern bleibt aber teilweise noch bis in das Schulalter erhalten. Für die Praxis der Sicherheitserziehung – insbesondere bei den jüngeren Kindergartenkindern – ergeben sich aus den besonderen Denkstrukturen folgende Konsequenzen: Dies bedeutet aber nicht, dass es auch die Gefahr für andere erkennt, wenn es selbst Wasser verschüttet. Es muss daher immer damit gerechnet werden, dass Kinder trotz des Wissens um Gefahren diese für andere nicht erkennen und beseitigen. Versuche, diese komplexe Ursachenkonfiguration zu erklären, müssen scheitern. Es ist hingegen sinnvoll, einen Gefahrenaspekt (vorzugsweise die einfachste und am besten darstellbare Gefahr) herauszugreifen und zu erklären. Eine differenziertere Darstellung ist erst bei älteren Kindern zweckmäßig. Abstrakte Sachverhalte sind daher schlecht oder überhaupt nicht vermittelbar. Hinter vielen Unfallgefahren stecken aber abstrakte Prinzipien, wie zum Beispiel Kräfte und Energien. Hier muss man versuchen, Gefahren oder Unfallursachen herauszustellen, die bildhaft darstellbar sind, während auf abstrakte Begriffe verzichtet werden sollte. Gefahren müssen also für jede einzelne Situation separat erklärt werden. Die Unbeweglichkeit des Denkens macht sich bei Erklärungen oder Instruktionen bemerkbar. Oben wurde schon erwähnt, dass Kinder Märchen gerne stets im gleichen Wortlaut hören wollen. Sie sind dadurch für die Kinder besser verständlich. Der gleiche Mechanismus gilt auch für Hinweise auf Gefahren oder für Verhaltensinstruktionen, die man deshalb unter Verwendung derselben Begriffe mehrfach wiederholen sollte. Ein praktisches Beispiel könnte folgendermaßen aussehen:
Essen oder Trinken von unbekannten Dingen birgt eine Vielzahl von Gefahren in sich
(Vergiftungen, Verätzungen, mangelnde Hygiene etc.). Die für das Kind Bildhafteste ist wohl das
Bauchweh (hat jeder schon einmal gehabt). Ein zweiter, den Kindern bekannter Begriff ist die
Krankheit. Selbst jüngere Kindergartenkinder assoziieren mit dem Begriff »Krankheit« zum Beispiel
Bettruhe, Übelkeit oder Fieber, die sie für sich selbst vermeiden wollen. Diese beiden Begriffe
können für eine Warnung vor den Gefahren verwendet werden, die etwa lautet: »Wenn du diese Sachen
isst (oder trinkst), die du nicht von uns bekommen hast, kannst du Bauchschmerzen bekommen und
krank werden.« Diese Erklärung müsste dann in allen entsprechenden Situationen wiederholt werden.
* Das Werk Piagets ist über 50 Jahre alt. Inzwischen wurde es in Detailfragen durch neuere Untersuchungen ergänzt oder relativiert, in der Regel aber bestätigt. Da keine andere Forschungsarbeit eine auch nur annähernd so umfassende Beschreibung der kindlichen kognitiven Entwicklung bietet, soll die Arbeit Piagets trotz ihres Alters hier als Grundlage dienen. 04b. GedächtnisDie Kapazität des Gedächtnisses von Kindern im Kindergartenalter unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem der Erwachsenen. So ist das Kurzzeitgedächtnis schon bei Kleinkindern voll ausgebildet: Die Kapazität (die Anzahl von Informationen, die man gleichzeitig behalten kann) beträgt in allen Altersgruppen ca. sieben Zeichen (z.B. eine Telefonnummer). Auch bei der Kapazität des Langzeitgedächtnisses bestehen zwischen den Altersgruppen keine Unterschiede. Trotzdem können sich jüngere Kinder viele Dinge schlechter merken als Erwachsene. Dies liegt daran, dass die Kinder noch nicht fähig sind, die Informationen, die auf sie einströmen, so zu gruppieren, dass größere Mengen davon im Gedächtnis gespeichert werden können. Erwachsene fassen ähnliche Informationen zu Gruppen zusammen oder denken sich abstrakte Prinzipien aus, um sich die zu merkende Information später wieder erschließen zu können. Das nachfolgende Beispiel macht dies deutlich: Die Strichfolge der folgenden Abbildung soll eingeprägt und behalten werden.
Die durch die gezeigte Reduktion frei werdenden Speicherplätze können zum Merken anderer Informationen verwendet werden. Kinder im Kindergartenalter verwenden ohne Anleitung nur die einfachsten Gedächtnisstrategien, wie zum Beispiel das ständige Wiederholen der zu merkenden Information. Für Erzieherinnen und Eltern besteht aber die Möglichkeit, die Kinder mit effektiveren Gedächtnisstrategien vertraut zu machen, damit sich die Kinder wichtige Informationen besser merken können oder damit ihr Gedächtnis allgemein verbessert wird: ![]()
Für die Arbeit im Kindergarten ergeben sich folgende Notwendigkeiten: Die obigen Möglichkeiten könnten zum Beispiel in folgender Situation angewandt werden: In Sandkästen (besonders von öffentlichen Spielplätzen) finden sich häufig scharfe oder stechende Gegenstände, wie Glasscherben, Spritzen, Blechteile etc. Damit sich die Kinder diese Gegenstände besser merken, ist die Einführung eines Oberbegriffs, z.B. »Sachen, an denen man sich schneiden oder stechen kann«, sinnvoll. Mit Hilfe dieses Oberbegriffs kann dann Vermeidungsverhalten gelernt werden. Die Merkfähigkeit der Kinder, welche Dinge zu den schneidenden oder stechenden Sachen gehören, kann zum Beispiel durch ein kleines Kreisspiel vertieft werden:
04c. SpracheGrundlage jeder Erklärung und jeder sonstigen Weitergabe von komplexen Informationen ist die Sprache. Im Kindergartenalter ist die Fähigkeit, korrekt zu sprechen und Erwachsene zu verstehen, noch nicht völlig vorhanden. Aus diesem Grund muss – gerade bei der Erklärung lebenswichtiger Sachverhalte wie der Sicherheitserziehung – das kindliche Sprachverständnis berücksichtigt werden, um Missverständnisse zu vermeiden. In diesem Zusammenhang sind primär zwei Phänomene zu beachten: Kinder unter fünf Jahren verstehen Passivsätze anders als Erwachsene. Sie
folgen meistens noch eher der »Oberflächenstruktur« des Satzes; das im Satz erstgenannte Nomen wird
als Subjekt, das als letztes Genannte als Objekt verstanden. Hierdurch kann es zu einer
Umkehrung des Satzsinnes kommen! Nur wenn Kinder einen Sachverhalt genau wissen, werden auch Passivsätze richtig
verstanden. Erklärungen von Gefahren bauen nur selten auf bereits vorhandenem Wissen der Kinder auf. Aus diesem Grund ist es wahrscheinlich, dass die Kinder bei vielen Passivsätzen einen falschen Sinn verstehen. Wie bereits im Kapitel
Denken⮥ beschrieben, ist das Denken
der Kinder im Kindergartenalter noch sehr stark an Bilder gebunden. Daher verwundert es nicht, dass
die Kinder noch keine sprachlichen Metaphern (bildhafte Ausdrücke) verstehen können. Bei diesen
steckt hinter dem Wort selbst noch eine weitere Bedeutung – quasi auf höherer Ebene. Neben dem vorher beschriebenen Verständnis der Sprache selbst ist für jede Art
Erziehung auch die Funktion der Sprache bei der Handlungsregulierung wichtig. Darunter
versteht man die Fähigkeit, sich bei gestellten Aufgaben die Instruktion selbst geben zu können.
Diese Fähigkeit ist bei drei- bis vierjährigen Kindern noch nicht vorhanden. Sprache dient bei
diesen Kindern nur als Impuls – die Handlung erfolgt unabhängig vom Inhalt der Sprache. In einem Versuch sollten Kinder verschiedener
Altersgruppen auf ein Lichtsignal hin einen Gummiball drücken. Ein rotes Licht bedeutete »drücken«,
ein Grünes hingegen »nicht drücken«. Dabei sollte jeweils gesagt werden, was zu tun sei. Kinder im
Alter von drei und vier Jahren waren durchaus fähig, sich richtig zu instruieren (bei rotem Licht
sagten sie »drücken«, bei grünem Licht »nicht drücken«). Bei dieser Altersgruppe war aber die
sprachliche Instruktion nicht handlungsregulierend: auch wenn sie »nicht drücken« sagten, drückten
sie den Ball. Die Sprache war hier nur Impuls zu einer Handlung – unabhängig vom Sprachinhalt. Für die pädagogische Arbeit ist im Zusammenhang mit der kindlichen Sprachentwicklung Folgendes zu beachten: Diese Besonderheit lässt sich nur durch erhöhte Aufsicht der Erzieherinnen ausgleichen. Ein Anwendungsbeispiel wäre zum Beispiel folgende Situation: Kinder erforschen gerne mit Hilfe von Nägeln u.ä. Ritzen, Höhlungen oder Löcher. Eine Gefahr ist dabei, dass sie Gegenstände in nicht kindergesicherte Steckdosen stecken. Um die Kinder auf die Gefährlichkeit solcher Handlungen hinzuweisen, wird zum Beispiel häufig gesagt, die Kinder sollten damit aufhören, sie würden sonst vom Schlag getroffen. In einer solchen – nicht seltenen – Warnung steckt sowohl eine Passivkonstruktion als auch eine Metapher (vom Schlag getroffen werden). Besser ist hier zum Beispiel die Erklärung: »Hör auf, Sachen in die Dose zu stecken, da kannst du dir so wehtun, dass du daran sterben kannst.« Optimal wäre allerdings die Erhöhung der technischen Sicherheit durch Anschaffung von Kindersicherungen. 04d. BeurteilungsvermögenDie Fähigkeit, etwas als »richtig« oder »falsch«, als »gut« oder »schlecht« beurteilen zu können, ist für das sicherheitsbewusste Verhalten von großer Bedeutung – insbesondere dann, wenn das Verhalten der Kinder von anderen (z.B. älteren Kindern) beeinflusst wird. Ob deren Handeln imitiert wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es in Übereinstimmung mit den eigenen moralischen Werten der Kinder steht. Eine entwicklungsbedingte Eigenart der Kinder ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig: Kinder im Alter bis zu fünf Jahren können eine Handlung moralisch nur entweder anhand der Intention oder des Handlungsausgangs bewerten. Meistens wählen sie den (konkret fassbareren) Handlungsausgang. Hierzu ein Beispiel von Piaget: Einer Kindergruppe (Alter drei bis vier Jahre) wurden zwei Geschichten erzählt. Anschließend bat man sie zu beurteilen, welche der Hauptfiguren moralisch negativer zu beurteilen sei.
Die meisten der befragten Kinder bewerteten
ausschließlich den Handlungsausgang (hier den größeren Schaden), der erste Junge wurde daher
negativer beurteilt als der Zweite. Im Zusammenhang mit dem Handlungsausgang ist noch eine andere Beobachtung wichtig: Kinder erleben einen Unfall erst als »wirklichen« Unfall, wenn er sichtbare Folgen wie Verletzungen hat. Je stärker Folgen für das Kind sichtbar und erkennbar sind, desto eher wird es einen Unfall als solchen ernst nehmen. Ein »Beinahe-Unfall« wird also nicht als richtiger Unfall gewertet. Aus den oben beschriebenen Eigenarten der Kinder kann für die praktische Arbeit gefolgert werden: 04e. WahrnehmungDie Wahrnehmung ist ein wichtiger Aspekt jeder menschlichen Entwicklung. Von ihrer Qualität hängen Lernprozesse ebenso ab wie das Verhalten – insbesondere in neuen oder komplexen Situationen. In den ersten drei Lebensjahren entwickeln sich die Wahrnehmungsleistungen sprunghaft. Sie unterscheiden sich aber immer noch in wichtigen Fähigkeiten von denen Erwachsener. Diese Fähigkeiten sowie ihre Bedeutung für das Verhalten der Kinder in kritischen Situationen sind Thema dieses Abschnitts: Das Blickfeld der Kinder ist kleiner als das Erwachsener, ihre Blickposition auf Grund ihrer Größe niedriger. Bei den Drei- und Vierjährigen ist auch die Tiefenwahrnehmung (die Fähigkeit, die Distanz zu entfernten Objekten abzuschätzen) noch wenig entwickelt. Die starke Fixierung auf Details bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Gesamtbilds führt unter anderem dazu, dass teilweise verdeckte oder unvollständige Gegenstände nur schwer erkannt werden. Die gerade genannten Besonderheiten in der Wahrnehmung sind vor allem beim Spielen mit vielen Kindern sowie für das Verhalten im Straßenverkehr bedeutsam. So wird zur Einschätzung von Situationen (z.B. bei Laufspielen oder beim Rad- und Rollerfahren) die Fähigkeit benötigt, schnell die Position, Richtung und Geschwindigkeit aller Spielteilnehmer zu erkennen. Ähnliches gilt für Situationen im Straßenverkehr. Dort – insbesondere von der Blickposition der Kinder aus – verdecken sich viele Verkehrsteilnehmer gegenseitig. Dies kann ebenfalls zum »Übersehen« wichtiger Details führen. Durch das engere Gesichtsfeld und die Bevorzugung des Sehens im Nahbereich ist zudem der notwendige Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern erschwert. Im ersten Versuch wurden Kindern zwischen fünf und zehn Jahren und Erwachsenen verschiedene Fotos von ihnen bekannten Gegenständen gezeigt. Sie sollten jeweils das Foto auswählen, das die Gegenstände am besten repräsentiert. Ältere Kinder und Erwachsene wählten meist Totalansichten der Gegenstände. Fünf- und Sechsjährige suchten dagegen Aufnahmen ihrer Meinung nach charakteristischer Details aus (z.B. einzelne gemalte Blümchen aus dem Muster einer Tasse an Stelle der gesamten Tasse). In einem zweiten Versuch zeigte man Kindern Fotos von ihnen bekannten Gegenständen in verschiedenen Schärfen. Die Kinder sollten sagen, welcher Gegenstand abgebildet sei. Jüngere Kinder konnten bei unscharfer Darbietung die Gegenstände nicht oder nur schwer erkennen, während dies älteren keine Probleme bereitete. Wurden Gegenstände aus Positionen fotografiert, die für die Kinder ungewohnt waren, so wurden sie von den jüngeren Kindern nicht erkannt. Die richtige Wahrnehmung von Bewegungen ist für viele Lebensbereiche der Kinder wichtig: Beim Spiel wird diese Fähigkeit, zum Beispiel zur Vermeidung von Zusammenstößen oder zum rechtzeitigen Ausweichen vor Wurfgeschossen, benötigt. Auch im Straßenverkehr kommen sehr häufig nichtlineare Bewegungen vor: So müssen Kinder vor der Überquerung des Zebrastreifens einschätzen, ob ein Fahrzeug abbremst oder nicht. Für die Praxis in Kindergarten und Elternhaus ergibt sich aus der spezifischen Wahrnehmung der Kinder zwischen drei und sechs Jahren Folgendes: 04f. Imitationslernen und VerhaltensgewohnheitenDie Einschätzung einer Situation hängt entscheidend vom Wissen über Handlungsmöglichkeiten, aber auch über Gefahren und Risiken dieser Situation ab. Dieses Wissen wird über Lernprozesse vermittelt. Richtiges Lernen von wichtigen Informationen stellt daher ein Element jeder Sicherheitserziehung dar. Je nach Alter werden verschiedene Lernarten eingesetzt. Im Kindergartenalter dominiert das Imitationslernen und das Lernen durch Verstärkung, das für die Bildung von sicheren und unsicheren Verhaltensgewohnheiten verantwortlich ist. Die beste Lernart, das Lernen durch Einsicht (Transfer von Wissen auf neue Situationen), verlangt eine größere Flexibilität des Denkens, findet sich daher in der Regel erst bei älteren Kindern. Aus diesem Grund sollen hier nur die beiden ersten Lernformen näher beleuchtet werden. Bei der ersten, für Kinder im Kindergartenalter wichtigen Lernform handelt es sich um das Imitationslernen (Lernen am Modell). Bei diesem Lernen wird vom Kind das Verhalten einer anderen Person (Modell) zunächst beobachtet und sich eingeprägt. In einer vergleichbaren Situation reproduziert dann das Kind das beobachtete Verhalten. Beispiel für Imitationslernen Die Übernahme von Verhalten durch Imitation hängt von mehreren Faktoren ab: Modelle, die für den Beobachter einen hohen Status besitzen, werden stärker nachgeahmt als Modelle mit niedrigerem Status. Dies gilt insbesondere, wenn der Beobachter eine positive emotionale Beziehung zu dem Modell hat. Für Kindergartenkinder sind beide Bedingungen (emotionale Beziehung und höherer Status) bei den Eltern und älteren Geschwistern, aber auch bei den Erzieherinnen der Kindergartengruppe erfüllt. Andere starke Modelle sind ältere Freunde (z.B. Hortkinder). Weitere Faktoren, die Imitationsprozesse fördern, sind Alter und Fähigkeiten des beobachteten Modells sowie Ängstlichkeit oder Abhängigkeit des Beobachters. Für die praktische Sicherheitsförderung im Kindergarten ergeben sich als Konsequenzen:
Ein einmal gezeigtes imitiertes unsicheres Verhalten der Kinder birgt zwar Gefahren,
geht aber in den meisten Fällen gut aus. Der größte Teil menschlichen Verhaltens läuft gewohnheitsmäßig ab. Hier wird nicht mehr über jeden neuen Handgriff nachgedacht (und dabei auch die Risiken abgewogen); vielmehr ist ein bestimmtes Handlungsmuster »in Fleisch und Blut übergegangen«. Verhaltensgewohnheiten treten häufig auf und laufen unbewusst ab. Daher stellt ihre Beeinflussung einen Schwerpunkt jeder Sicherheitserziehung dar. Da viele Verhaltensgewohnheiten schon im Kindergartenalter erworben werden, wollen wir nachfolgend den Mechanismus des Erwerbs näher behandeln. Grundlage jeder Verhaltensgewohnheit ist ein einmal gezeigtes, bewusstes Handeln. Die Konsequenz dieses Handelns entscheidet dann darüber, ob es wieder aufgegeben oder wiederholt wird. Bringt das Verhalten dem Handelnden oder einem beobachteten Modell wiederholt Erfolg (positive Verstärkung), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es gewohnheitsmäßig gezeigt wird. Dies soll anhand eines Beispiels demonstriert werden:
Der Erwerb von Verhaltensgewohnheiten über
Lernprozesse kann aber auch zu sicheren Verhaltensgewohnheiten führen. Die oben gezeigten Mechanismen kann man für die Sicherheitserziehung nutzen: Häufig fahren die Kinder auf dem Hof mit Rollern, Rädern und Dreirädern frei umher. Dadurch kommt es immer wieder zu Zusammenstößen. Dieses Spiel kann durch das Aufmalen eines Parcours auf dem Boden »entschärft« werden. Zusätzlich kann die Regel eingeführt werden, dass Kinder, die die »Straßen« verlassen und über »Häuser« fahren, ihr Fahrzeug an ein anderes Kind abgeben müssen. Ein solcher Parcours eignet sich auch als Grundlage für Verkehrs-Rollenspiele. Vielmehr sollen sie im Schutz der Erwachsenen lernen, mit den alltäglichen Gefahren umzugehen. Das Lernen des Umgangs mit den Gefahren kann zwar zu Misserfolgen führen. Gerade aber diese Misserfolge können das Verhalten des Kindes in einer Weise beeinflussen, dass sich sichere Verhaltensgewohnheiten entwickeln. Dadurch können oft spätere schwerwiegende Unfälle vermieden werden. Ein solches »Heranführen« ist selbstverständlich nur bei solchen Gefahren möglich, die zu keinen ernsten Schäden führen können. Dies ist beispielsweise beim Erwerb von Geschicklichkeit beim Klettern möglich.
04g. Verhaltenssteuerung und AufmerksamkeitDie Verhaltenssteuerung der Kinder im Kindergartenalter unterscheidet sich sehr stark von der der meisten Erwachsenen. Gerade in diesem Alter orientiert sich Verhalten noch vor allem am Lustprinzip. Die Fähigkeit, Bedürfnisse (etwa zur Erlangung späterer, höherwertiger Ziele) aufzuschieben, ist nicht vorhanden; sie müssen sofort befriedigt werden. Es wird direkt auf die Umwelt reagiert. Dabei ist etwa das Wissen über Gefahren, die mit dem eigenen Tun verbunden sind, nicht handlungsregulierend. Die Risiken werden während der Handlung nicht bedacht, obwohl sie später benannt werden können. Diese Art der Verhaltenssteuerung wird auch bei Streitigkeiten in den Kindergruppen deutlich: Es besteht die Tendenz, erlittenes Unrecht sofort zu vergelten, ohne nach anderen Konfliktlösungen zu suchen und ohne die Folgen für sich selbst zu bedenken. Gleiches gilt im Übrigen beim Beistand für bedrängte Freunde. Diese kindlichen Verhaltensstrukturen können von den Betreuern kaum beeinflusst werden, sie brechen selbst bei sonst relativ rational bestimmtem Handeln immer wieder durch. Daraus leitet sich für Betreiber und Mitarbeiter von Kindergärten sowie für Eltern die Verpflichtung ab, Gegenstände, die zu Unfällen mit schweren Folgen führen könnten, von den Kindern fern zu halten. Kinder sind mit etwa drei Jahren fähig, Wettbewerbssituationen zu begreifen. Sie sind aber noch nicht in der Lage, Misserfolge in derartigen Situationen adäquat zu ertragen. Ihre Frustrationstoleranz ist sehr gering, das Selbstwertgefühl wird stark gemindert. Als Folge solcher Misserfolge brechen sie dann das begonnene Spiel ab und gehen ihm in Zukunft möglichst aus dem Weg. Erst ab etwa fünf Jahren können sie mit frustrierenden Situationen besser umgehen. Sie »flüchten« dann nicht mehr aus dem Spiel, sondern versuchen, ihre Niederlage durch vermehrte Anstrengungen wettzumachen. Für den Einsatz von Spielen, die Maßnahmen zur Sicherheitserziehung unterstützen können, bedeutet das, dass man Spiele frühestens ab fünf Jahren in ihren Wettbewerbsvarianten anbieten sollte. Im anderen Fall besteht die Gefahr, dass gerade die schwächeren und jüngeren Kinder von den Spielen nicht profitieren können. Die Aufmerksamkeit der Kinder zwischen drei und sechs Jahren hat ähnliche Strukturen wie das Denken: Ein Aspekt einer Situation wird beachtet, alle anderen werden ignoriert. Dabei kann der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit äußerst schnell wechseln: Alles Neue und Auffallende zieht das Kind an. Wenn ein Gegenstand in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, wird die umgebende Situation (mit all ihren Gefahren) nicht mehr beachtet. Bestes Beispiel ist der Ball, der aus dem Spielfeld rollt und geholt werden muss. Die Aufmerksamkeit ist auf diesen und nicht auf die Umgebung (z.B. schaukelndes Kind im Laufbereich, Straßenverkehr) gerichtet. Für die Praxis in Kindergarten und Elternhaus ergibt sich aus der besonderen Struktur der kindlichen Aufmerksamkeit: Hierzu als Beispiel eine Abwandlung des Spiels Hexenmeister⮥: Die Kinder laufen frei umher. Ein Kind ist der Hexenmeister. 04h. GefahrenbewusstseinEine Strategie der Sicherheitserziehung ist die Vermittlung von Wissen über die Gefahren inner- und außerhalb des Kindergartens. Wichtig sind in diesem Zusammenhang vor allem drei Fragen: Zu diesen Fragen ist zu bemerken: Für die praktische Arbeit ergeben sich hieraus folgende Notwendigkeiten: ![]() |
05. Vorschläge für die Sicherheitserziehung im Kindergarten
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06. Spiele zur Wahrnehmungsförderung
Deshalb spielt in der Sicherheitsförderung die Verbesserung der Wahrnehmung eine besonders große Rolle, denn diese ist eine Basis der Bewegungssicherheit. Kinder müssen lernen, wichtige von unwichtigen Reizen zu unterscheiden. Sie müssen in der Lage sein, aus der Vielfalt an Informationen diejenigen auszuwählen, die für sie wichtig sind, um so gegenüber auftretenden Gefahren sensibilisiert zu sein. Im Folgenden finden Sie Vorschläge für Bewegungsspiele zu den fünf Wahrnehmungsbereichen: Diese Wahrnehmungsbereiche sind nur ein Raster zur Orientierung, anhand dessen Übungen gezielt ausgewählt werden können. Die Wahrnehmungs- und Bewegungswelt von Kindern ist wesentlich komplexer. Bei den einzelnen Spielformen werden immer mehrere motorische und sensorische Fähigkeiten gefördert und beeinflussen sich wechselseitig. 06a. Spiele zur Förderung der kinästhetischen Wahrnehmung (Eigenwahrnehmung, Bewegungsempfinden)Die kinästhetische Wahrnehmung liefert dem Kind Informationen über die eigenen Muskeln, Sehnen und Gelenke. Durch sie ist es möglich, den Auf- und Abbau der Muskelspannung zu kontrollieren, unterschiedliche Gelenkstellungen und damit unterschiedliche Bewegungsrichtungen einzelner Körperteile wahrzunehmen sowie Körperpositionen zu halten und zu verändern, zum Beispiel gestreckte Beine bewusst beim Landevorgang einzusetzen. Kletten Roboter Rollende Reifen Zeitungsmauer 06b. Spiele zur Förderung der vestibulären Wahrnehmung (Gleichgewicht)Die vestibuläre Wahrnehmung ist für die Gleichgewichtsregulation des Körpers verantwortlich. Sie gibt dem Kind Informationen über die Lage seines Körpers im Raum. Je höher das Gleichgewichtsniveau des Kindes ist, desto bessere Möglichkeiten hat das Kind, sich sicher in seiner Umwelt zu bewegen. Es kann sein Fallen frühzeitig bemerken und entsprechend darauf reagieren. Ballkellner Schlangenlinie Begegnungen auf der Bank 06c. Spiele zur Förderung der taktilen Wahrnehmung (Tasten, Fühlen)Die taktile Wahrnehmung reagiert auf Informationen, die über die Haut empfangen werden (Druck, Berührung, Temperatur, Schmerz). Sie trägt dazu bei, dass das Kind die unterschiedliche Beschaffenheit von Materialien und Gegenständen seiner Umgebung differenzieren lernt. Dazu gehört das Erkennen von verschiedenen Gewichten, von unterschiedlicher Feuchtigkeit, Temperatur und Oberflächenbeschaffenheit. Besonders intensiv wird der Tastsinn bei geschlossenen Augen angesprochen. Gegenstände sortieren Fliegenspiel Kitzelmonster 06d. Spiele zur Förderung der auditiven Wahrnehmung (Hören)Die auditive Wahrnehmung ermöglicht es, Geräusche, Stimmen, Klänge und Töne wahrzunehmen und sie zu unterscheiden. Das auditive System spielt eine wichtige Rolle für die Verständigung und Kognition; es bildet die Grundvoraussetzung für den Spracherwerb. Insbesondere die differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit unterschiedlicher Geräuschquellen im Straßenverkehr sowie im Spielraum ist für die Sicherheit von Kindern bedeutsam. Der Polizist Heulbojen Kleine Hunde – große Hunde 06e. Spiele zur Förderung der visuellen Wahrnehmung (Sehen)Die visuelle Wahrnehmung beinhaltet das Erkennen optischer Reize, die Fähigkeit sie zu unterscheiden und sie durch Verbindungen mit früheren Erfahrungen zu interpretieren. Sie ermöglicht es, die Umwelt zu strukturieren, Vorder- und Hintergrund, nah und fern, Objekte, Größen, Farben, Formen sowie Höhe, Tiefe und Breite eines Raumes zu unterscheiden. Zublinzeln Fliegende Tücher Ein Ei gleicht dem anderen |
07. Literaturempfehlungen
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08. AutorDr. Torsten KunzJahrgang 1959. |
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© 23.09.2010 (akt. 06.11.2014) HansiHerrmann.de
Letzte Änderung: 11.09.2025 09:15:35
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