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Trunk vom Brunnen • Die Vorbereitung des AbschiedsDie Leute«, sagte der kleine Prinz, »schieben sich in die Schnellzüge, aber sie wissen gar nicht, wohin sie fahren wollen. Nachher regen sie sich auf und drehen sich im Kreis …« Und er fügte hinzu: »Das ist nicht der Mühe wert …« Der Brunnen, den wir erreicht hatten, glich nicht den Brunnen der Sahara. Die Brunnen der Sahara sind einfache, in den Sand gegrabene Löcher. Dieser da glich einem Dorfbrunnen. Aber es war keinerlei Dorf da, und ich glaubte zu träumen. »Das ist merkwürdig«, sagte ich zum kleinen Prinzen, »alles ist bereit: die Winde, der Kübel und das Seil …« Er lachte, berührte das Seil, ließ die Rolle spielen. Und die Rolle knarrte wie ein altes
Windrad, wenn der Wind lange geschlafen hat. Ich wollte nicht, dass er sich abmühte: »Lass mich das machen«, sagte ich zu ihm, »das ist zu schwer für dich.« Langsam hob ich den Kübel bis zum Brunnenrand. Ich stellte ihn dort schön aufrecht. In meinen Ohren war noch immer der Gesang der Zugwinde, und im Wasser, das noch zitterte, sah ich die Sonne zittern. »Ich habe Durst nach diesem Wasser«, sagte der kleine Prinz.
»Gib mir zu trinken …« Ich hob den Kübel an seine Lippen. Er trank mit geschlossenen Augen. Das war süß wie ein Fest. »Die Menschen bei dir zu Hause«, sagte der kleine Prinz,
»züchten fünftausend Rosen in ein und demselben Garten … und doch finden sie dort nicht, was sie
suchen.« Ich hatte getrunken. Es atmete sich wieder gut. Der Sand hat bei Tagesanbruch die Farbe des Honigs. Auch über diese Honigfarbe war ich glücklich. Warum musste ich Kummer haben? »Du musst dein Versprechen halten«, sagte sanft der kleine Prinz, der sich
wieder zu mir gesetzt hatte. Ich nahm meine Skizzen aus der Tasche. Der kleine Prinz sah sie und sagte lachend:
»Deine Affenbrotbäume schauen ein bisschen wie Kohlköpfe aus …« »Dein Fuchs … seine Ohren … sie schauen ein wenig wie Hörner aus … sie sind viel
zu lang!« Ich kritzelte also einen Maulkorb hin. Und das Herz krampfte sich mir zusammen, als ich ihn dem
kleinen Prinzen gab: Wieder fühlte ich einen merkwürdigen Kummer, ohne zu wissen, warum. Von neuem errötete der kleine Prinz. Er antwortete nie auf die Fragen, aber wenn man errötet, so bedeutet das JA, nicht wahr? »Ach«, sagte ich, »ich habe Angst!« Aber ich war nicht beruhigt. Ich erinnerte mich an den Fuchs … |
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© 04.10.2009 HansiHerrmann.de
Letzte Änderung: 08.09.2025 21:43:42
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